Hannover/Eschede (epd). Die kirchliche Notfallseelsorge ist 15 Jahre nach dem Zugunglück in Eschede nach Ansicht von Experten fest etabliert. Als am 3. Juni 1998 der ICE "Wilhelm Conrad Röntgen" in dem niedersächsischen Ort bei Celle gegen eine Brücke prallte, sei die organisierte Notfallseelsorge erst im Aufbau gewesen, sagte der langjährige Beauftragte der hannoverschen Landeskirche für diesen Bereich, Frank Waterstraat. Er koordinierte damals den Einsatz von rund 80 Notfallseelsorgern am Unglücksort mit. "Mit einem Schlag war klar, wie wichtig diese Hilfe ist."
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister sagte: "Das Unglück hat mit seinem Schrecken in so vielen Dimensionen die Grenzen menschlichen Lebens und Handelns deutlich gemacht." Der christliche Glaube versuche, auch angesichts des grauenhaften Einbruchs des Todes in scheinbar sichere Hochtechnologie Trost zu vermitteln. Dafür stünden auch die Notfallseelsorger.
Waterstraat hat noch vor Augen, wie er vom Rest der zerstörten Brücke auf das Trümmerfeld hinabblickte: "Eine solche Dimension von Schrecken hatte ich noch nie gesehen", sagte der Pastor, der heute Polizeiseelsorger der evangelischen Kirchen in Niedersachsen ist. 101 Menschen wurden durch die größte Zugkatastrophe in der deutschen Geschichte in den Tod gerissen. In einer solchen Situation sollten Notfallseelsorger akut möglichst unaufdringlich Hilfe anbieten und vor allem die Retter nicht behindern, erläuterte der evangelische Pastor.
Sie könnten Leichtverletzte betreuen, Sterbende begleiten oder Angehörige unterstützen. "Wichtig ist es, mit den Menschen Klage und Trauer auszuhalten. Dass sie schreien oder schweigen können, und jemand ihnen zur Seite steht." Die Seelsorger könnten einen geschützten Raum im Chaos bieten: "Das heißt zum Beispiel, jemanden bei Sonne in den Schatten zu führen, oder bei Kälte eine Decke zu bringen." Die Vertreter der Kirche stünden zudem für den Glauben daran, dass mit dem Tod gegen allen Augenschein nicht alles vorbei sei.
Rund 1.050 Einsätze haben allein die rund 700 Notfallseelsorger in der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland im vergangenen Jahr absolviert, sagte der landeskirchliche Beauftragte Joachim Wittchen. Zu 80 Prozent gehe es um Hilfe im häuslichen Bereich. "Notfallseelsorge ist meistens Beistand bei der stillen Katastrophe im dritten Stock." In der Mehrheit übernähmen die Gemeindepastoren, Diakoninnen oder ausgebildete Ehrenamtliche diese Aufgabe.
Nach dem Zugunglück von Eschede wurde Wittchen zufolge nicht nur die kirchliche Notfallseelsorge ausgebaut. Auch Polizei, Feuerwehr und Rettungsorganisationen schufen systematisch Hilfsangebote, die Mitarbeiter nach belastenden Einsätzen auffangen. Bundesweit gebe es heute ein Netzwerk von Anbietern dieser psychosozialen Notfallversorgung.
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