Ein Blick hinter weihnachtliche Kulissen

Nachricht 25. Dezember 2011

Von Landesbischof Ralf Meister

„Schon war der große Saal geheimnisvoll verschlossen, schon waren Marzipan und Braune Kuchen auf den Tisch gekommen, schon war es Weihnacht draußen in der Stadt. Schnee fiel, es kam Frost, …und wo man ging, atmete man mit dem Duft der zum Kauf angebotenen Tannenbäume das Aroma des Festes ein.“ Weihnachten bei den Buddenbrooks. Thomas Manns Beschreibung des Weihnachtsabends der Familie Buddenbrooks ist ein berühmter Heiliger Abend in der Literatur geworden.

Über viele Seiten lässt Thomas Mann die Zeit stillstehen und uns daran teilhaben. Er beschreibt, wie die Stadt und alle Familien sich auf Weihnachten vorbereiten. Facettenreich werden Traditionen geschildert, in denen das Fest seine Form bekam. Und auch wir selbst erkennen uns wieder in Gebräuchen und alten Gewohnheiten, die wir Jahr für Jahr hervorholen, um im familiären Gleichklang, in der Tradition zu bleiben. Die Kekse nach dem Rezept der Großmutter; die Gans nach Art der väterlichen Familie; der Baum als Nordmanntanne; niemals Lametta; die Weihnachtsgeschichte gelesen aus dem Astrid-Lindgren-Buch; „O Du fröhliche…“ im Familienchor.

Ein Fest, traditionsreich und erinnerungssatt. Dazwischen erzählt Thomas Mann von Hanno, dem jungen Stammhalter, der mit seinen Kinderaugen das Geheimnis des Heiligen Abend aufsaugt. Er ist freudig überwältigt von den Geschenken und der feierlichen Inszenierung. Am späten Abend im Weihnachtszimmer heißt es: „Es war ein ganz seltsames Vergnügen, wie auf einer halbdunklen Bühne nach Schluss der Vorstellung darin umherzugehen und ein wenig hinter die Kulissen zu sehen“.
Wenn der Klang der Heiligen Nacht verfliegt, bleibt der Blick in die Kulissen. Der Vorhang ist geöffnet, und in den Kulissen wohnt die Frage nach dem Inhalt. Was bleibt, wenn das große, liebevoll inszenierte Theater der Heiligen Nacht gespielt ist? Der Rückblick auf ein zu Ende gehendes Jahr? Der Dank für die Bewahrung und Gottes Gegenwart an vielen Orten? Oder auch die Enttäuschung über seine Abwesenheit in manchen Momenten?

Weihnachten lässt spürbar werden, wie zerbrechlich und schutzbedürftig wir Menschen sind. Diese Tage öffnen den Blick für das, was schmerzt und was wir vermissen. Der Blick fällt zurück auf vergebliche Hoffnung, auf Sehnsucht ohne Resonanz. Viele Menschen fragen: Wo bist Du, Gott? Auch in der Weihnachtszeit beschäftigen uns schwierige Fragen, die unser Leben und das Gesicht unserer Welt prägen. Sie passen nicht zum Wunsch nach Harmonie. Und gehören doch in die Heilige Nacht. Nicht als Spiel und Tradition, sondern als schmerzvolle Sehnsucht in einer Welt, die verloren ginge - wäre Christus nicht geboren. Der Glanz der Heiligen Nacht ist zart: In einem kleinen Kind kommt Gott zur Welt. Mitten in den Zerreißproben des Lebens.

Ein Gott, der es mit uns aushält: Allein das ist ein Wunder. Und der in die Finsternis unserer Tage ein helles Licht strahlen lässt. „Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud und Wonne“, dichtete Paul Gerhardt beim Blick auf die intime Szene von Mutter, Vater, Kind im Stall von Bethlehem.
Hinter dem dekorativen und fröhlichen Spiel der Heiligen Nacht wandelt sich die Welt in ihrem Grund. Die freie Zeit an den Festtagen, unsere ganz persönlichen Rückblicke und Ausblicke, die Begegnungen mit Familie, Verwandten und Freunden: Alle diese Momente des Innehaltens öffnen Räume, in denen Gott uns berührt und bewegt. In den Kirchen zwischen Hittfeld und Harlingerland, Northeim und Diepholz wird sein Weihnachtsgeheimnis für uns erzählt, damit wir darin eintauchen und das Wunder von Neuem erfahren können: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude. Denn euch ist heute der Heiland geboren.“

Landesbischof Ralf Meister, Hannover