Hannover/Berlin (epd). Perspektivlosigkeit ist nach Ansicht des Berliner Kriminologen Frank Robertz ein wesentlicher Auslöser von Schießereien an Schulen. "Es ist keine gute Idee, einen auffälligen Jugendlichen aus der Schule zu werfen", sagte der Wissenschaftler am Mittwoch bei einer Tagung der Seelsorge in Polizei und Zoll (Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen) und des Landesjugendpfarramts zum Thema Jugendgewalt in Hannover. "Wenn Schüler von der Schule gewiesen werden, bricht auch die letzte Bindung zu einem Lehrer, einem Klassenkameraden oder dem Sozialarbeiter ab."
Ein Jugendlicher verliere durch einen Schulverweis seine soziale Bindungen. Präventionsarbeit müsse die soziale Vernetzung stärken, forderte der Wissenschaftler vom Institut für Gewaltprävention und angewandte Kriminologie in Berlin. Die Bezeichnung als "Amoklauf" beschreibe das gezielte Töten von Lehrern nicht richtig. Während Amokläufe von einem Moment zum anderen passierten, bauten "School shootings" auf bestehenden Gewaltfantasien auf. Sie seien lange vorher geplant und angekündigt.
Eine aktuelle These besage, dass gefährdete Jugendliche stark in ihrer Fantasiewelt verfangen seien, unterstrich Robertz. Möglicherweise könnten sie Realität und Fantasie nur eingeschränkt trennen. Lehrer sollten den Schülern negative Rückmeldungen geben, wenn diese beispielsweise im Deutschaufsatz Gewaltfantasien formulierten. "Sonst sehen die Jugendlichen das als Bestätigung an."
Die Niedersächsische Landesbeauftragte für Jugendsachen, Pia Magold, sagte, die Zahl von Trittbrettfahrern sei nach den letzten großen Amokläufen gestiegen. Während es nach der Tat von Erfurt 2002 rund 20 Fälle gegeben habe, lag die Zahl 2009 nach Winnenden bei 296. Rund ein Drittel der Nachahmer hinterließen Schmierereien, beispielsweise an der Toilettentür. Ein weiteres Drittel verfasse Nachrichten über Soziale Netzwerke im Internet. Der Rest werde als persönliche Drohung ausgesprochen.
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28.9.2011