Emden (Jörg Nielsen, epd). Auf den evangelischen Kirchtürmen in Ostfriesland drehen sich sowohl Wetter-Hähne als auch Schwäne. Der eingeweihte Ostfriese erkennt sofort den Unterschied. Für ihn stellt der Schwan klar: In dieser Kirche predigt ein lutherischer und kein reformierter Pastor. Allerdings gibt es eine Ausnahme - einer schwedischen Prinzessin zuliebe.
Nirgendwo finden sich so viele Schwäne auf den Kirchturmspitzen wie zwischen Ems und Jade, sagt der "Wetter-Schwan-Experte" Ummo Lübben, der eine Broschüre über die besonderen Turmfahnen verfasst hat. 82 Schwäne, entweder flach und zweidimensional oder aber plastisch ausgeformt, zeigen an, dass in den darunterliegenden Kirchen ein lutherischer Wind weht. Außerhalb Ostfrieslands sind sie nur selten zu finden.
Der Schwan ist ein Symbol für den Reformator Martin Luther (1483-1546). Einer seiner Vorgänger, der tschechische Reformator Johannes Hus, zu deutsch Johannes Gans, wurde 1415 von der katholischen Kirche wegen Ketzerei zum Tod verurteilt. Auf dem Weg zum Scheiterhaufen soll er gesagt haben: "Heut in des argen Feuers Glut, ein arme Gans ihr braten tut, nach hundert Jahren kommt ein Schwan, den sollt ihr ungebraten lan (erleiden)."
Und fast genau 100 Jahre später schlug Martin Luther im Jahr 1517 seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg und läutete so die Reformation in Deutschland ein. Seitdem wurde die Prophezeiung von Hus auf Luther bezogen. Seit frühester Zeit wird Luther daher auf Bildern mit einem Schwan dargestellt.
Und so weist der große weiße Vogel den Lutheranern in Ostfriesland den Weg in die für sie richtige Kirche - mit eben einer Ausnahme: Auch auf der altehrwürdigen reformierten Kirche in Groothusen gleich hinterm Deich prangt ein goldener Lutherschwan. "Das ist unsere Verbeugung an Katharina von Wasa", sagt Pastorin Heike Schmid. Der damalige Graf Edzard II. Cirksena hatte 1559 die streng lutherische Schwedenprinzessin geheiratet. "Und die konnte nun mit dem reformierten Gottesdienst ohne gesungene Liturgie so gar nichts anfangen."
Graf und Gräfin versuchten darum, die reformierte Gemeinde lutherisch zu stimmen, berichtet Schmid. "Die Gemeinde bekam einen lutherischen Prediger auf die Kanzel und einen Schwan aufs Dach." Um die reformierten Gemüter im Dorf zu beschwichtigen, stiftete der Graf eine große Kirchturm-Uhr. Doch der lutherische Pastor blieb nur drei Jahre. Gleich nach dem Tod des Grafen wurde er wieder fortgeschickt. Von da an gab es nur noch reformierte Prediger, sagt Schmid. Doch der Schwan blieb: "Die Prinzessin konnte von ihrem Witwensitz auf der Burg Pewsum den Kirchturm sehen. Ihr zuliebe hat die Gemeinde den Schwan dort oben gelassen."
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21.7.2011