Raus aus dem Schneckenhaus - Nach einem turbulenten Jahr steht die hannoversche Landeskirche vor großen Umbrüchen

Nachricht 27. Dezember 2010

Von Ulrike Millhahn (epd)



Hannover (epd). Turbulenzen haben die sonst so wohlgeordnete hannoversche Landeskirche im vergangenen Jahr kräftig durcheinandergewirbelt. Dem überraschenden Rücktritt von Landesbischöfin Margot Käßmann im Februar folgte nach einer kurzen Schockstarre eine monatelange Suche nach möglichen Nachfolgern. Ende November wählte das Kirchenparlament der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland dann den Berliner Generalsuperintendenten Ralf Meister. Der neue Bischof, der im März sein Amt antreten wird, steht vor einer Art Quadratur des Kreises.



Den 48-Jährigen erwartet eine Kirche, die langfristig mit weniger Geld und weniger Personal, dafür aber mit mehr Arbeit klarkommen muss. Zwar konnte der Haushalt in den vergangenen Jahren aufgrund harter finanzieller Einschnitte konsolidiert werden. Nach sieben Jahren finanzieller Talfahrt verbuchte die Landeskirche im Herbst erstmals wieder ein Haushaltsplus. Doch bis 2030 rechnen Insider mit einem um 50 Prozent gekürzten Haushaltsvolumen und einem Drittel weniger Mitgliedern als noch zur Jahrtausendwende.



Die Kirchen und Pfarrhäuser der rund 1.450 Gemeinden zwischen Nordsee, Harz und Heide werden ebenfalls auf den Prüfstand kommen. Die Kirchengemeinden seien oft entweder zu groß oder zu klein, sagt der Hamelner Superintendent Philipp Meyer, der auch der Synode angehört: "Während ein Pastor mit mehr als 5.000 Mitgliedern völlig überlastet ist, könnte ein anderer mit 1.000 Menschen theoretisch nebenbei Rosen züchten." Arbeitsgerechtigkeit, Aufgabenteilung und Teamarbeit müssten in den Regionen noch ausgebaut werden.



"Die Flexibilität muss größer werden, aber auch die Transparenz, wer was macht", betont Meyer. Er weiß, dass er damit gerade den älteren Pastoren viel abverlangt. Sein Kollege Ralph Charbonnier aus Burgdorf sieht noch ein weiteres Problem: "Selbst wenn die Arbeit in den Gemeinden sehr gut läuft, wird es aufgrund des demografischen Wandels zu einem Mitgliederschwund kommen." Den sonst üblichen Zusammenhang zwischen guter Leistung und dem daraus resultierenden Erfolg der Arbeit werde es so nicht mehr geben.



Auch Jörn Surborg, der dem kirchenleitenden Landessynodalausschuss vorsteht, spricht eine nicht gern gehörte Wahrheit aus: "Weitaus mehr Gemeinden müssen lernen, ohne Pastor mit Wohnsitz im Ort auszukommen." Das "flexible Pfarramt der Zukunft" sei insgesamt noch gewöhnungsbedürftig. Bereits jetzt fühlen sich mehr Mitarbeiter an der Basis immer öfter überlastet: "Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens, um genau zu sehen, welche Strukturen die Menschen krank machen", sagt Surborg. Es müsse noch stärker darum gehen, Prioritäten in der Arbeit zu setzen: "Niemand kann mehr alles allein machen."



Deshalb wird die Kirche noch mehr darauf angewiesen sein, ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen und sie zu pflegen. Wertschätzung, Delegation und Verantwortung sind nur einige Stichworte: "Wenn die Freiwilligen sich allerdings verheizt fühlen, die nötigen Informationen nicht bekommen und keine Anerkennung erhalten, wird das Engagement immer unattraktiver", betont Superintendent Charbonnier.



"Wir können vor allem von Menschen lernen, die der Kirche eher fern sind", sagt er: "Viel zu oft werden wir als Ermahner und Besserwisser wahrgenommen." Für Surborg ist wichtig, dass die Kirche lebendig bleibt: "Es wäre völlig falsch, wenn wir uns in unser innerkirchliches Schneckenhaus zurückzögen."



Die Landeskirche, die zu 80 Prozent ländlich strukturiert ist, dürfe sich nicht zu einer "reinen Pastorenkirche" entwickeln, erläutert Surborg. Die soziale Arbeit der Diakonie sei genauso unverzichtbar wie das Engagement für Kinder oder Senioren. Auch für die vielfältigen übergemeindlichen Dienste, zu denen die Lebensberatung oder die Krankenhaus-Seelsorge gehören, müsse die Zukunft gesichert sein.



Zur Zukunftsplanung gehört auch der fehlende theologische Nachwuchs, der dem stellvertretenden Landesbischof Hans-Hermann Jantzen Sorge macht. "Wir müssen deutlich mehr junge Leute für das Studium gewinnen", sagt er. Diese Werbung sollte in den nächsten 15 Jahren zu einem Schwerpunkt werden. Auch über alternative Wege in den Beruf müsse nachgedacht werden.



Angesichts der Fülle der Aufgaben will der neue Bischof Ralf Meister keine Zeit verstreichen lassen. Nach seiner Amtseinführung im März plant er, zügig alle 57 Kirchenkreise zu besuchen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Meister weiß, dass der Wandel nötig ist, um die volkskirchlichen Strukturen zu erhalten: "Ich glaube, dass wir noch manche entscheidenden Veränderungen in der Organisation erleben werden."



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27.12.2010