Entscheidungen über Leben und Tod - Ethik-Komitee in Hannover berät seit zehn Jahren Ärzte und Angehörige von Sterbenskranken

Nachricht 27. Dezember 2010

Hannover (epd). Der Zustand des jungen Mannes auf der Intensivstation ist lebensbedrohlich, eine vollständige Heilung ungewiss. Ärzte und Angehörige müssen eine schweren Entscheidung treffen: Soll die Therapie fortgeführt werden - um jeden Preis? Hätte der Patient körperlich und geistig schwerstbehindert weiterleben wollen? Derartige Fragen bringen Mediziner und Familien an ihre Grenzen. Das Klinische Ethik-Komitee der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) versucht seit zehn Jahren, den Betroffenen zur Seite zu stehen.

Die Oberärztin Thela Wernstedt weiß aus eigener Erfahrung, welche Verantwortung dabei auf den Schultern von Ärzten und Angehörigen lastet. "Es ist furchtbar, über Leben und Tod entscheiden zu müssen", sagt die Leiterin der Palliativmedizin, die sich täglich um Sterbenskranke kümmert. Sie gehört dem Ethik-Komitee an, das in Konfliktsituationen zu vermitteln versucht.

Im Jahr 2000 war die Hochschule bundesweit eine der ersten Kliniken, die ein Ethik-Komitee einrichteten. Heute gibt es bundesweit in allen Universitätskliniken und den meisten Häusern mit kirchlichem Träger ein solches Gremium. Ethik in der Medizin sei ein aktuelles und dennoch oft zu wenig beachtetes Thema, erläutert Wernstedt: "Dabei gibt es mit der fortschreitenden Technisierung immer mehr Situationen, in denen wir uns nach den Grenzen unseres Handelns fragen müssen. Und danach, was für den Patienten noch gut ist."

Zu diesen Extremsituationen gehören etwa späte Schwangerschaftsabbrüche, die Behandlung frühgeborener Säuglinge und die Therapiebegrenzung auf der Intensivstation. Gerade bei Frühchen und Kleinkindern falle es oft schwer, den Eltern zu vermitteln, dass eine weitere Behandlung keinen Erfolg verspreche, sagt Wernstedt. "Viele Angehörige können nicht loslassen. Einige haben aber auch das Gefühl, dass die Therapie zu weit geht." Dann sei es oft hilfreich, einen Außenstehenden zurate zu ziehen.

Das Komitee tritt nur auf Anfrage zusammen. "Meistens ist es der behandelnde Arzt, der sich an uns wendet", sagt Wernstedt. Seit seiner Gründung hat das gewählte Gremium in mehr als 300 Fällen beraten. Mitglieder sind neben Ärzten und Pflegefachkräften auch Mitarbeiter des Sozialdienstes, der Klinikseelsorge und der Administration sowie ein Amtsrichter und drei Patientenvertreter. "Oft konnten wir helfen", sagt Wernstedt und betont, dass es nicht darum gehe, den Betroffenen die Entscheidung abzunehmen. "Wir versuchen lediglich, gemeinsam einen Konsens zu finden."

Eine wichtige Aufgabe der 18 ehrenamtlichen Mitglieder bestehe auch in der Fort- und Weiterbildung von Ärzten und Pflegepersonal. "Oft gehen wir zum Schichtwechsel auf die Stationen und sprechen mit den Kollegen", sagt Wernstedt. Es gebe zudem mehrtägige Seminare. Dabei werden unter anderem Fragen zur Therapiebegrenzung und Patientenverfügung beantwortet. In solch einem Dokument regeln die Verfasser, mit welchen Therapien sie, wenn sie sich nicht mehr selbst mitteilen können, noch einverstanden sind. "Trotzdem bleibt es of schwierig herauszufinden, was der Patient wirklich wollte."

Die Entscheidung, welche Grenzen in der Therapie von Sterbenskranken zu ziehen sind, fällt auch Wernstedt nicht immer leicht. "Meistens gelingt es mir, die nötige Distanz zu den Patienten zu halten", sagt sie. Es gebe aber immer wieder Situationen, die ihr besonders nahe gingen wie der junge Mann auf der Intensivstation. "Das fällt mir schwer, weil die Jüngeren ihr halbes Leben noch vor sich haben, Familie zurücklassen und oft sehr am Leben hängen."

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