Von Dieter Sell (epd)
Garlstedt/Kr. Osterholz (epd). Der Schnee knirscht unter den Schuhen. Eiskristalle glitzern in der Wintersonne. Die Pfützen auf dem einsamen Waldweg im Garlstedter Forst bei Bremen sind schockgefrostet. Zwischen hoch gewachsenen Tannen, Kiefern und Birken taucht plötzlich eine kleine Fichte auf - mit bunt-glänzenden Kugeln, schillernden Sternen, Geschichten und Gedichten. Seit mehr als 15 Jahren schmücken Spaziergänger in der Adventszeit den Baum hier mitten im Wald und notieren auf kleinen Zetteln innigste Wünsche. Ein geheimnisvoller Ort.
1995 begann alles mit einer sorgsam eingeschweißten Postkarte: "Alle, die dieses Bäumchen seh'n, bleiben hier ein wenig steh'n - und jeder sollte daran denken, auch anderen etwas Freude zu schenken", dichtete da jemand. Auf einem Spaziergang mit ihrem Mischlings-Hund "Oscar" entdeckte Helga-Myrkit Hoffmann die Karte. Sie hängte etwas dazu, pflegte den Platz und schnitt die Zweige. Bald kam mehr Schmuck dazu, mittlerweile waschkörbeweise. "Wer genau die Kugeln, Engel und Sterne aufhängt, das weiß niemand", sagt die heute 66-Jährige.
Seither hängen immer wieder handgeschriebene Zettel zwischen den Kugeln. Häufig sind es anonyme Herzenswünsche, die niemand gegen Geld erfüllen kann. So sucht eine Frau "die richtige Lebensbalance zwischen Arbeit, Studium und alleinerziehender Mutter". Die Sehnsucht nach "meinem Seelenpartner" bestimmt eine andere Karte. Immer wieder wünschen sich Spaziergänger Frieden, einen Weg aus der Arbeitslosigkeit, Gesundheit und Glück mit dem Partner.
Eine Gruppe Nordic-Walker denkt sportlich und schreibt etwas von Durchhaltevermögen und Wohlergehen. "Der Wettergott möge uns stets wohlgesonnen sein", heißt es da. Mit Kinderhand hat ein Mädchen eine bewegende Karte geschrieben und darunter den Namenszug "Sarah" gesetzt: "Ich liebe meine Mama und wünsche mir, dass es ihr im Himmel gut geht." Chantal hätte gerne mehr Hilfen für arme Menschen und möchte "bald glücklich in einem Haus mit zwei Kindern und einem Mann leben".
Inzwischen hängen auch Kinder ihre Wunschzettel in die Zweige. Diese und viele andere Karten, die Wind und Wetter einigermaßen lesbar zurücklassen, hebt Hoffmann nach der Weihnachtszeit auf. An zwei Terminen vor und nach dem Fest hat sich die Fichte überdies zum Treffpunkt für Baumfreunde gemausert.
"Meistens am dritten Advent und am Sonntag nach dem Dreikönigstag gibt es unter freiem Himmel heißen Tee und selbst gebackene Kekse", sagt Hoffmann. Andere Helfer haben sich dazu gesellt, lichten Buschwerk und pflegen den "Baum der Begegnung", der mittlerweile auch zu Ostern geschmückt wird.
"Welche Fichte darf schon Ostereier tragen?", freut sich Hoffmann. Irgendwann meldete sich bei ihr dann ein Bundeswehr-Soldat, der in der Nähe stationiert war und die Idee an seinen neuen Einsatzort im Harz mitgenommen hat. Nun gibt es auch dort einen "Baum der Begegnung", eine Tanne mit Herzenswünschen an den Zweigen. Hoffmann wünscht sich noch viele Ableger dieser Art in ganz Deutschland. Orte, die zum Lesen und Nachdenken anregen - und beim Spazierengehen ein wenig Freude schenken.