Göttingen (epd). Für ein Forschungsprojekt über das Schicksal der Heimkinder in Niedersachsen zwischen 1949 und 1975 sucht die Universität Göttingen Zeitzeugen. Ehemalige Heimkinder sowie Erzieherinnen und Erzieher aus zwölf ausgewählten Heimen in den Regionen Hildesheim, Braunschweig, Göttingen und Oldenburg sollen zu den Lebensumständen in den Heimen interviewt werden, teilte die Universität am Dienstag mit.
Die Göttinger Wissenschaftler sind vom niedersächsischen Sozialministerium mit den Forschungen beauftragt worden, nachdem eklatante Missstände in den Heimen der Nachkriegsjahrzehnte öffentlich geworden waren. "Seit Beginn des Forschungsvorhabens im April haben wir herausgefunden, dass in Niedersachsen bis in die 1970er Jahre hinein mindestens 138 Erziehungsheime für Kinder und Jugendliche existierten", sagte die Sozialwissenschaftlerin Margret Kaul, die gemeinsam mit dem Historiker Dirk Schumann das Forschungsprojekt leitet. Zeitzeugen können sich an Rebecca Eulzer, Telefon 0551/39-9447, Mail: reulzer@uni-goettingen.de wenden.
Zwischen 1945 und 1975 wuchsen bundesweit rund 800.000 Kinder und Jugendliche in Waisen- und Erziehungsheimen auf. Drei Viertel der Heime wurden von kirchlichen Trägern geführt. Viele Insassen litten unter brutalen Erziehungsmethoden, Arbeitszwang, Prügel und sexuellen Übergriffen. Bundesweit befasst sich ein Runder Tisch in Berlin mit dem Schicksal der Heimkinder.
In Niedersachsen hat den Angaben zufolge das Sozialministerium gemeinsam mit einem "Gesprächskreis Heimerziehung" in Hannover, dem auch ehemalige Heimkinder angehören, einen Fragekatalog für das Forschungsprojekt zusammengestellt. Erforscht werden soll unter anderem, wie die medizinische und psychologische Betreuung der Kinder war, welche Arbeit sie in den Heimen und in Betrieben leisten mussten und wie Behörden ihrer Pflicht zur Heimaufsicht nachkamen.
Zu den Einrichtungen, die näher untersucht werden sollen, gehören Heime unterschiedlicher Träger. Dazu zählen in der Region Göttingen das Psychagogische Kinderheim Rittmarshausen und das Mädchenheim Wollershausen, zudem die Einrichtung St. Ansgar in Hildesheim. In der Region Braunschweig werden das Kinderheim Waldschule Querum, das Zentraljugendheim Sternhaus und das Elisabethstift in Salzgitter erforscht. In der Region Oldenburg werden fünf Einrichtungen untersucht: das Mädchenheim Dietrichfeld in Oldenburg, das Leinerstift in Großefehn, das Schwedenheim und die Einrichtung Heilig Kreuz in Cloppenburg sowie das St-Vincenz-Kinderheim in Nordenham.
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