Landesbischöfin ist am 4. September zehn Jahre im Amt

Nachricht 03. September 2009

epd-Interview

Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann ist am 4. September zehn Jahre im Amt. Im epd-Interview spricht sie über die Herausforderungen sowie über ihre beruflichen und privaten Höhepunkte und Krisen in dieser Zeit. Außerdem beschreibt die promovierte Theologin künftige theologische und gesellschaftspolitische Themen der Kirche. Die Bischöfin war in den vergangenen sechs Jahren auch Mitglied des höchsten Leitungsgremiums der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem Rat. Mit Käßmann sprachen Ulrike Millhahn und Christof Vetter.

epd: Frau Landesbischöfin Käßmann, die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers ist mit knapp drei Millionen Mitgliedern, mehr als 30.000 hauptamtlichen und etwa 100.000 ehrenamtlichen Mitarbeitern die größte in Deutschland. Wie lässt sich ein derartig großes Unternehmen steuern und zusammenhalten?

Käßmann: Das erlebe ich als große Herausforderung. Unsere Verfassung bindet die Bischöfin in alle kirchenleitenden Gremien wie Kolleg, Bischofsrat und Senat ein. Durch die Koordination dieser Gremien sind immer wieder Konsensentscheidungen auch mit der Synode, bei schwierigen Aufgaben zu erreichen. Die notwendige Entscheidung von 2005, mehr als 81 Millionen Euro im Haushalt einzusparen und diesen Schritt, mit allen Beteiligten gemeinsam zu bewältigen, war ein ungeheurer Kraftakt. Dennoch gab es bei allem Ringen keine Auseinandersetzungen im Gegeneinander. Dafür bin ich dankbar.

Auch die Präsenz vor Ort ist mir wichtig. Ich habe alle 57 Kirchenkreise zwischen Hannoversch-Münden und Cuxhaven besucht und stehe fast jeden Sonntag auf einer Kanzel, um zu predigen. Es geht also darum, Leitungsaufgaben nach innen wahrzunehmen, die Landeskirche nach außen zu repräsentieren und immer wieder Impulse durch meine regelmäßigen Berichte vor der Landessynode und Vorträge zu geben.

epd: Unterscheidet sich das geistliche Leiten einer Bischöfin von Führungsstilen in der freien Wirtschaft?

Käßmann: Auf jeden Fall. Es kann nicht autoritär von oben passieren, im Sinn von "Ich will etwas und setze es durch". Im Grunde müssen wir als Evangelische immer so leiten, wie es im Augsburger Bekenntnis von 1530 steht: nämlich nicht durch Macht und Gewalt, sondern durch das Wort. Ich in den zehn Jahren über 500 Predigten und noch einmal so viele Vorträge gehalten. Das zeigt, wie ungeheuer wichtig das Wirken durch das Wort ist. Ich investiere viel Zeit in die Vorbereitung dieser Texte und setze mich darin sowohl mit theologischen als auch mit gesellschaftspolitischen und sozialen Fragen auseinander. Es geht um Präsenz, Transparenz und Überzeugungskraft.

Sehr viel bedeuten mir Netzwerke. Ich bin dankbar, dass ich diese in Hannover aufbauen konnte. Es ist entlastend zu wissen, welche fünf Menschen ich schnell und unbürokratisch zusammenholen kann, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen. Großartig an unserer Landeskirche ist, dass immer Menschen da sind, die sich begeistern für eine Sache. Wenn die Bischöfin eine Idee hat, aber keine Netzwerke und damit Mitstreiter, die diese Idee aufgreifen und umsetzen, kann sie keinen Boden gewinnen.

So ist das "Netzwerk Mirjam" entstanden, das seit fast zehn Jahren Müttern in Not hilft. Wir haben die Kampagne "Advent ist im Dezember" gegen den vorweihnachtlichen Einkaufsrummel ins Leben gerufen, die auch von der EKD aufgegriffen wurde. Im vergangenen Jahr haben wir anlässlich der Olympischen Spiele mit einem Armband auf Menschenrechtsverletzungen in China hingewiesen. Es wurde 235.000 Mal aus Ländern der ganzen Welt angefordert.

In den ersten Jahren meiner Amtszeit hat mir ein Spruch meiner Großmutter "Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch die Kraft, es auszufüllen", Mut gemacht. Es gab vor zehn Jahren einige Menschen, die mein Alter und damit die mögliche Länge meiner Amtszeit problematisierten. Ich wurde zwei Tage nach meinem 41. Geburtstag gewählt und kann laut Kirchenverfassung bis zur Pensionsgrenze im Amt bleiben.

Das hat sicher den Nachteil, dass Erneuerung durch eine andere Person so schnell nicht kommt. Andererseits gibt es den Vorteil der Kontinuität. Nach zehn Jahren kenne ich viele Entscheidungsträger in der Politik, Wirtschaft und Kultur, die ich mit relativ kurzem Draht auch erreichen kann.

epd: Welchen Stellenwert hat die Landeskirche für Sie als ehemalige Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages und als gebürtige Hessin bekommen?

Käßmann: Ich habe eine große Liebe zu meiner Landeskirche entwickelt und schätze die Weite ihrer Themen: von Lüchow-Dannenberg und der Atomkraft über Fragen der Landwirtschaft, die diese Kirche sehr prägt, bis zu VW in Wolfsburg. Mir gefallen auch ihre Traditionen und ihre gut lutherische Verankerung.

Auch die sich sehr unterscheidenden Frömmigkeitsprägungen finde ich immer wieder spannend: die Hermannsburger Missionstradition, die Prägungen in Ostfriesland, die südniedersächsische Region mit den zahlreichen kleinen Gemeinden und dann die sehr großen Kirchen in Lüneburg, Osnabrück oder den Dom in Bardowick. Ich mag die Vielfalt, die Tradition und Innovation im Gleichgewicht hält. Hier leben beeindruckende Menschen, die sich in unserer Kirche mit viel Herzblut engagieren. Ich bin gern in den Gemeinden vor Ort.

epd: Was waren Ihre Höhepunkte in dieser Zeit?

Käßmann: Der erste Höhepunkt war die Expo 2000 in meinem ersten Amtsjahr mit dem Christus-Pavillon und den Stundengebeten mitten auf der Weltausstellung. Auch der Kirchentag 2005, bei dem wir als Landeskirche mit Begeisterung engagiert waren, gehört dazu. Am Ende waren alle beeindruckt, wie weltoffen und fröhlich Christinnen und Christen sein können. Das hat auch nachhaltig gewirkt. Auch der Tag des Ehrenamtes 2001 war für mich wichtig, als 8.000 Ehrenamtliche aus der Landeskirche zusammenkamen.

epd: Und welche beruflichen und persönlichen Entscheidungen waren schwierig?

Käßmann: Bei den Sparmaßnahmen haben wir beschlossen, nicht mit dem Rasenmäher zu kürzen, sondern Gemeindepfarrstellen unterproportional und kirchliche Einrichtungen überproportional zu kürzen. Das hatte bittere Entscheidungen zur Folge. Die Evangelische Fachhochschule Hannover wurde an das Land übertragen, das Predigerseminar in Celle ebenso geschlossen wie das Haus am Kreuzberg in Göttingen, und auch das Tagungshaus Lutherheim in Springe wurde aufgegeben.

Viele Mitarbeitende erleben, dass ihre Belastungen steigen. Das gilt für Pastorinnen und Pastoren, die immer größere Bereiche zu bewältigen haben. Und während der Bedarf zum Beispiel an Diakoninnen und Diakone wächst, wird die Kapazität von Hauptamtlichen immer geringer. Wir geben 86 Prozent aller Einnahmen für Personal aus, das heißt, wenn unsere Einnahmen durch zurückgehende Kirchensteuern sinken, müssen wir an Personal sparen. Das tut mir weh, denn an Aufgaben mangelt es wahrlich nicht.

Auf der einen Seite müssen wir die Stelle einer Krankenhausseelsorgerin um die Hälfte kürzen, gleichzeitig gibt es aber immer mehr Patienten, die gar keinen Besuch bekommen und dringend auf Kontakte angewiesen sind. Es belastet mich, dass die Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen das Gefühl haben, am Ende ihrer Belastbarkeit zu sein.

Schwierige persönliche Entscheidungen gab es auch. 2006 wurde bei mir eine Krebserkrankung festgestellt und 2007 ist meine Ehe geschieden worden. Vor allem meine Scheidung hat mich extrem belastet. Ich bin meiner Landeskirche dankbar, dass sie mich durch diese Zeit getragen hat.

epd: Sie haben gesagt, dass Sie mindestens einmal pro Woche auf einer der knapp 1.400 Kanzeln Ihrer Landeskirche stehen und predigen. Findet das Wächteramt der Kirche über brennende gesellschaftliche Fragen noch immer auf der Kanzel statt?

Käßmann: Ja. Das gilt zunächst für Glaube und Theologie. Aber auch brennende gesellschaftliche Themen gehören auf die Kanzel, denn die Bibel thematisiert ja Fragen von Gerechtigkeit und Frieden beispielsweise. Sie hat mit dem Leben der Menschen zu tun. Und ich kann nicht in einem Gottesdienst predigen, ohne mich zu fragen, was die Menschen gerade beschäftigt. Text und Kontext gehören zusammen. Wenn eine Gemeinde sich um eine Iranerin kümmert, die abgeschoben werden soll, kann ich nicht ignorieren, dass in der Bibel steht "Den Fremdling, der unter euch wohnt, den sollt ihr schützen".

Dafür ist Zahra Kameli ein Beispiel. Sie wurde mit 16 Jahren im Iran mit einem älteren Mann zwangsverheiratet, den sie verließ. In Deutschland trat sie zum Christentum über. Eine Abschiebung wäre für sie lebensgefährlich gewesen. Unsere Kirche hat durch ihr Wächteramt und durch das Engagement vieler Menschen nicht nur maßgeblich dazu beigetragen, dass sie im Jahr 2005 in Deutschland bleiben durfte. Eine weitere Folge war, dass ein Jahr später auch in Niedersachsen als vorletztem Bundesland eine Härtefallkommission entstand. Um über Kamelis Fall zu beraten, holte das Innenministerium erstmals alle Parteien an einen Tisch.

Wenn ich den Talar anziehe, werde ich keine andere Person. Nach lutherischem Amtsverständnis gibt es kein geweihtes Priesteramt. Das Wächteramt findet aber auch bei nicht-kirchlichen Veranstaltungen statt, zum Beispiel, wenn ich Vorträge vor Steuerberatern oder Bankern halte und über christliche Ethik spreche.

epd: Sie waren in den vergangenen sechs Jahren Mitglied des obersten Leitungsgremiums der EKD, dem Rat. Welche Themen bleiben auch für die nächste Ratsperiode ein Dauerbrenner?

Käßmann: Ganz sicher bleibt das Bildungsthema. In der vergangenen Ratsperiode haben wir einen klaren Akzent gesetzt, was die Rolle der Kirche in der Bildungslandschaft betrifft - sowohl bei den Kindertagesstätten als auch bei den Schulen und dem Religionsunterricht.

Im Gespräch mit den Muslimen müssen wir unsere Klarheit behalten, aber uns weiterhin fragen, wie wir gute Nachbarschaft leben. Mir liegt daran, sowohl einen Dialog des Respekts in Deutschland zu führen, als auch für Religionsfreiheit in anderen Ländern einzutreten. Auch das Thema Ethik mit Palliativmedizin, Hospizen, christlichen Patientenverfügungen ist ein Dauerbrenner. Die gesamte Entwicklung rund um die Pflege gehört zu den Themen der kommenden Jahre. Und theologisch gesehen bleibt die Herausforderung, Glaube und Vernunft zusammenzuhalten.

epd: Menschen wünschen sich Umfragen zufolge von den Kirchen eher eine individuelle Begleitung und haben weniger Interesse daran, dass sie sich bei gesellschaftspolitischen Fragen einmischen. Gibt es Themen, in die sich die Kirchen nicht einmischen sollten oder müssen?

Käßmann: Ich kann diesen Wunsch gut verstehen. Deshalb ist es mir wichtig, die Arbeit in den Gemeinden so zu stärken, dass die Menschen sich persönlich begleitet wissen. Gleichzeitig kann ich aber die biblische Botschaft nicht weitergeben, ohne die gesellschaftliche Situation im Blick zu haben. Ich kann doch nicht darüber predigen, dass Jesus Gerechtigkeit für die Armen will und dabei ignorieren, wie es armen Menschen heute geht.

Wir sollten allen, die am Rande der Gesellschaft leben, besonders nah sein. Gleichzeitig muss die Kirche aber auch die finanziell Starken anerkennen und ihnen danken, dass sie es uns ermöglichen, Leistungen für die Schwächeren zu erbringen. Mit dem Geld der Kirchensteuernzahler unterstützen wir vor allem die Menschen, die Hilfe brauchen: Alte, Behinderte, Kinder, Kranke und Obdachlose.

Dabei sollte sich die Kirche nicht in parteipolitisches Gezänk einmischen. Es gibt auch bunte Themen des Boulevards, bei denen eine Abstinenz gefragt ist. Ich stehe nicht zur Verfügung, wenn sich eine Zeitung von mir zum Beispiel eine zielgerichtete "bischöfliche" Empörung zu einem reißerischen Thema wünscht.

epd: Wenn Sie einen Blick in das Jahr 2019 wagen: Wird die evangelische Kirche mit ihren inzwischen 22 Landeskirchen dann noch immer mehr oder weniger in den Grenzen des Wiener Kongresses von 1815 organisiert sein?

Käßmann: Eine Zusammenlegung von Landeskirchen ist an sich noch kein geistliches Erfolgsmodell, aber sie kann nützlich sein. Deshalb hätte ich zum Beispiel eine evangelische Landeskirche in Niedersachsen für sinnvoll gehalten, so wie der braunschweigische Landesbischof Friedrich Weber sie im März vorgeschlagen hat.

Die hannoversche Landessynode hat dies auch einstimmig befürwortet. Da aber die Kirchenparlamente der vier kleineren Kirchen von Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe und der Evangelisch-reformierten Kirche eine derartige Fusion nicht wollen, werden wir sie natürlich nicht dazu drängen.

In Mitteldeutschland scheint mir ein sehr positiver Prozess stattzufinden, was die Zusammenarbeit von Kirchen mit unterschiedlichen evangelischen Bekenntnissen betrifft. Die je eigene Bekenntnistreue wird respektiert, aber gleichzeitig die Leuenberger Konkordie von 1973 anerkannt. Damals hatten sich ja die lutherischen, reformierten und unierten Kirchen Europas unter Berücksichtigung ihrer Traditionen auf eine gemeinsame Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und gegenseitige Anerkennung der Ordination geeinigt.

Ich halte das auch für ein Modell mit den Katholiken, aber ich weiß, dass dies von der römisch-katholischen Kirche anders gesehen wird. Ökumene heißt für mich nicht Gleichmacherei. Ich möchte nicht katholisch werden, und ich verlange von keinem katholischen Christen, dass er lutherisch wird.

Vielfalt kann sehr kreativ sein, für mich wäre es ein Modell versöhnter Verschiedenheit zu sagen, wir bleiben verschieden, aber wir erkennen uns gegenseitig als Kirchen an. Wir erkennen unsere jeweiligen Ämter an und können deshalb das Abendmahl als Symbol der Einheit miteinander feiern. Für die katholische Kirche ist dies zurzeit kein gangbarer Weg, aber für mich wäre es einer: Verschiedenheit respektieren und trotzdem Einheit feiern.

epd: Ende Oktober wählt die EKD-Synode in Ulm einen neuen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende des Rates. Wenige Tage später feiern Sie am Reformationstag, dem 31. Oktober, gemeinsam mit der Popgruppe "Die Prinzen" einen Fernsehgottesdienst in der Stiftskirche in Wunstorf bei Hannover – auf jeden Fall als Bischöfin der hannoverschen Landeskirche, auch als neue Ratsvorsitzende der EKD?

Käßmann: Dieser Gottesdienst wird definitiv stattfinden: mit den "Prinzen" und der Bischöfin der hannoverschen Landeskirche.