Der Generalist mit offenem Ohr - Dieter Klages geht nach 28 Jahren als Leiter der hannoverschen Telefonseelsorge in den Ruhestand

Nachricht 18. Juni 2009

Hannover (epd). Dieter Klages ist ein Meister des Drei-Wort-Satzes. Mit der knappen Aufforderung "Erzählen Sie mal" gelingt es dem Telefonseelsorger seit mehr als 30 Jahren immer wieder, mit mehr oder weniger verzweifelten Menschen am Telefon ins Gespräch zu kommen. "Am Anfang denkt man, hoffentlich sage ich das Richtige", erinnert sich der hannoversche Pastor an seine ersten Nachtdienste Mitte der 70er Jahre. Heute stellt er sich eher die Frage, ob er seine Gesprächspartner auch richtig verstanden hat.

Das sind für Klages, der Ende Juli in den Ruhestand geht, die Qualitäten eines Telefonseelsorgers: Intensives Zuhören und ein Gespräch auf Augenhöhe. Pseudopsychologische Worthülsen oder gar eine antrainierte Gesprächsführung sind ihm dagegen ein Graus. 28 Jahre lang hat der evangelische Theologe die Telefonseelsorge in Hannover geleitet und sich mit jedem Anrufer erneut auf eine kleine Reise begeben. Seine Devise lautete stets: "Wir wissen vorher beide nicht, was wir finden, aber wir können gemeinsam suchen."

Die Anruferin, die spürbar verzweifelt um einen Rat bittet, fragt der gelernte Ehe- und Lebensberater gern schon mal behutsam: "Welchen hatten Sie denn noch nicht?" Damit ist das Eis gebrochen. Jeder Mensch sei ein Experte in eigener Sache und verfüge über Ressourcen, die manchmal blockiert sind: "Wenn ich meinem Gegenüber Kompetenzen zutraue, finde ich auch heraus, welchen Gesprächsauftrag er für mich hat."

Auch wenn der Anteil der psychisch kranken Anrufer im Lauf der Jahrzehnte kontinuierlich gestiegen ist und heute bei etwa ein Fünftel liegt, geht es durchaus nicht immer um große Probleme: "Mancher möchte einfach nur reden - und zwar gerade nicht über seine frühkindliche Mutterprägung", sagt der Seelsorger mit einem Augenzwinkern. Humor ist für ihn ohnehin unverzichtbar: "Telefonseelsorger sind keineswegs ein vergrübelter Haufen von Depressiven."

Sie müssen hellwach und flexibel sein und brauchen vor allem Einfühlungsvermögen. Das Telefon sei eben ein "Überfall-Instrument". Innerhalb von zwei Sätzen muss sich der Seelsorger in die Thematik hineindenken und darauf reagieren: "Oft sind es Konflikte, manchmal Krisen und eher selten Katastrophen", erläutert Klages. Er bezeichnet sein Team deshalb auch als "Generalisten mit dem offenen Ohr".

Er selbst hatte etwa zwei bis drei Gespräche im Jahr, in denen es buchstäblich um Leben und Tod ging. Die Begleitung von Menschen, die sich umbringen wollen, bleibe ein Schwerpunkt der Arbeit: "Ein lebensmüder Mensch muss zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Gesprächspartner finden können, der ihn kompetent begleitet." Deshalb hat er die Mitarbeiter in einer zweijährigen Ausbildung immer wieder sorgfältig auf ihren Dienst vorbereitet. In Rollenspielen proben sie die unterschiedlichsten Gesprächssituationen, um dann Tag und Nacht für die Anrufer da zu sein.

Darauf ist Klages besonders stolz. Seit 1961 ist in Hannover noch nie eine Schicht ausgefallen. Rund 46.000 Schichtwechsel hat es während seiner Amtszeit gegeben. Die derzeit rund 85 Freiwilligen, die diesen Dauerdienst mit drei Hauptamtlichen auf zweieinhalb Stellen am Leben erhalten, seien zuverlässig wie ein Uhrwerk: "Sie wissen, dass die Telefonseelsorge für Menschen in Not oft der einzige Ansprechpartner ist." Psychisch Kranke, die keine Lobby in der Gesellschaft haben, sieht Klages als die Gruppe an, die die Telefonseelsorge am meisten braucht.

Für sie und all die anderen Anrufer müsse die Arbeit, die von der hannoverschen Landeskirche finanziert wird, auch auf Dauer abgesichert werden, wünscht sich der künftige Ruheständler. Die Telefonseelsorge Hannover hat im vergangenen Jahr 22.180 Anrufe verzeichnet und war damit nach eigenen Angaben so gefragt wie noch nie. Durchschnittlich gingen täglich 60 Anrufe rund um die Uhr ein.

Einen Tipp für seinen Nachfolger hat der Experte für das Zwischenmenschliche auch noch: "Man muss mit allem rechnen - vor allem mit dem Guten."

Die Nummer der Telefonseelsorge lautet 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222.

Internet: www.telefonseelorge.de

epd lnb mil mig/Ulrike Millhahn / 18. Juni 2009

Copyright: www.epd-niedersachsen-bremen.de