Hannover/Berlin (epd). Erstmals in Deutschland will ein evangelisches Sozialwerk mehrere Einrichtungen der katholischen Caritas übernehmen. Der Caritas-Verband Hannover sei mit dem Evangelischen Johannesstift in Berlin handelseinig über den Verkauf von fünf defizitären Alten- und Pflegeheimen geworden, sagte der katholische Propst Martin Tenge am Freitag in Hannover dem epd. In den Heimen kümmern sich rund 580 Beschäftigte um etwa 530 Bewohner und weitere 250 Patienten in der ambulanten Pflege. Nach den Sommerferien müssten die Mitarbeiter den Plänen noch zustimmen.
"Das ist aus einer Notlage heraus geboren worden", sagte Tenge. "Wir standen kurz vor der Insolvenz und hatten bereits einen Termin beim Amtsgericht." Über den Diözesan-Caritasverband in Hildesheim sei dann der Kontakt zu dem Berliner Träger entstanden, der expandieren wolle. Der Propst bezeichnete den geplanten Verkauf der "Caritas-Seniorendienste-Hannover gGmbH" als "glückliche Variante": "Wir übertragen ja nicht nur einen technisch funktionierenden Betrieb, sondern auch eine spirituelle Grundhaltung, und die weiß ich dort in guten Händen."
Ein Sprecher des Johannesstiftes sagte, die Stiftung habe das Ziel zu wachsen und sich zu vergrößern. Die zentralen Verwaltungskosten sollten auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Aufgrund der demografischen Entwicklung müsse der Bereich Altenhilfe langfristig wachsen, sagte Pressereferent Wolfgang Kern: "Wer sich nicht darauf ausrichtet, wird das Nachsehen haben." Das Berliner Werk unterhält bereits Einrichtungen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Sein Geschäftsführer Wilfried Wesemann war bis 2005 bei der Diakonie in Hannover tätig.
Die Stiftung könne die Beschäftigten in Hannover zu den Tarifen in Berlin-Brandenburg übernehmen, sagte Kern. Diese lägen etwa zehn Prozent unter denen in Niedersachsen. So könnten die wirtschaftlichen Probleme der fünf Heime aufgefangen werden: "Wir werden uns nicht um Kopf und Kragen engagieren." Das Stift wolle die katholisch geprägten Heime im ökumenischen Geist betreiben und auch nach einer möglichen Übernahme eng mit der Caritas zusammenarbeiten.
Tenge machte vor allem die hohen Personalkosten für die wirtschaftlichen Probleme der Heime verantwortlich: "Die Schere von Ausgaben und Einnahmen ist nicht mehr zu schließen." Für die Beschäftigten könne eine Übernahme zwar Einbußen bringen, dies sei aber immer noch besser als eine Insolvenz. Scharfe Kritik übte er an den Sätzen der Pflegekassen in Niedersachsen. Diese orientierten sich an den geringeren Löhnen der privaten Träger und nähmen nicht wahr, was die Wohlfahrtsverbände leisteten.
Der Propst sprach von einem "sozialpolitischen Skandal". Die privaten Anbieter zahlten Löhne, "die wir ethisch für nicht mehr verantwortbar halten". Er forderte Niedersachsens Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) auf, Druck auf die Kassen auszuüben. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Caritas in Niedersachsen vor einem "Kollaps" in der Altenpflege gewarnt.
epd lnb mig mil/5. Juni 2009
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