Hannover (epd). Erstmals soll in der hannoverschen Landeskirche ein Kirchengebäude abgerissen werden. Die evangelische Messiaskirche in Hannover wird am 1. Advent entwidmet und zum Jahresende mitsamt dem Grundstück verkauft, sagte die evangelische Landessuperintendentin Ingrid Spieckermann am Freitag vor Journalisten in Hannover: "Wir werden dieses Gemeindezentrum in einem symbolischen Akt schließen." Trotz intensiver Suche fanden die Verantwortlichen keinen Nachnutzer. Das Gebäude selbst weiter zu unterhalten, sei zu teuer. Die Kirchengemeinde sei mit 1.150 Mitgliedern zu klein geworden und werde mit einer Nachbargemeinde zusammengelegt.
Bei der Messiaskirche handelt es sich um einen einstöckigen Flachdach-Bau aus rotem Backstein mit angeschlossenem Gemeindezentrum aus dem Jahr 1966. Für das 632 Quadratmeter große Grundstück interessiert sich die Klosterkammer Hannover, die dort Reihenhäuser errichten will. Die Trauer vieler Menschen um ihre Kirche sei sehr groß, sagte die Landessuperintendentin: "Hier ist sehr viel Herzblut hineingeflossen." So sammelte ein Kirchbauverein seinerzeit 500.000 Mark. Zudem halfen viele Gemeindemitglieder durch Eigenarbeit. Die Verantwortlichen hätten ihre Entscheidung jedoch sorgfältig abgewogen.
Die Kirche verursache unter anderem sehr hohe Energiekosten, sagte der Superintendent des Kirchenkreises Hannover-Ost, Thomas Höflich. Nachnutzer hätten rund 120.000 Euro in neue Fenster, eine Wärmedämmung und eine Dachisolierung investieren müssen. Dies habe die Interessenten ebenso abgeschreckt wie der hohe Grundstückspreis. Der stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstandes, Wolfgang Irrlitz, sprach sich dafür aus, den unumgänglichen Abriss nicht lange hinauszuzögern: "Besser ein Ende mit Schrecken, als das Gebäude immer noch vor Augen zu haben."
Spieckermann führte den Abriss auf die besondere Situation in der Großstadt Hannover zurück. Hier seien in der Nachkriegszeit viele neue Gemeinden gegründet und Kirchen gebaut worden, weil zahlreiche Flüchtlinge hierher gezogen seien. Der Fußweg von Kirche zu Kirche sollte damals nicht mehr als eine Viertelstunde betragen. Heute führten die demografische Entwicklung und schwindende Finanzen dazu, dass Gemeinden wieder zusammengelegt würden. Laut Höflich ist der kirchliche Gebäudebestand im Stadtkirchenverband Hannover auf rund 400.000 Menschen ausgelegt. Heute gebe es aber nur noch 216.000 evangelische Christen.
Bei der Entwidmung am 1. Advent werden Bibel, Kreuze und Abendmahlsgeräte hinaussgetragen und in einer Fußprozession in die Matthiaskirche gebracht, die neue Heimat der Gemeinde. Später werden auch die Glocken hierher transportiert. Die Orgel wurde für 35.000 Euro nach Neustadt am Rübenberge verkauft. Auch Holzbalken und das Parkett der Kirche werden neue Nutzer finden. Die evangelische Kirche hatte in Hannover in den vergangenen Jahren drei Kirchen aufgegeben. Zuletzt wurde 2007 die Gustav-Adolf-Kirche im Stadtteil Leinhausen aus dem Jahr 1971 verkauft. Sie wird zu einem jüdischen Kulturzentrum mit Synagoge umgebaut.
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Acht Kirchen und drei Kapellen bisher aufgegeben
Hannover (epd). In der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, zu der drei Viertel Niedersachsens gehören, sind in den vergangenen Jahrzehnten nach einer Statistik des Landeskirchenamtes acht Kirchen und drei Kapellen aufgegeben worden. Sie werden als Museen, Konzertsäle, Bibliotheken oder wie die ehemalige Ansgarkirche in Hannover als Archiv und Orgelmagazin genutzt. Die Messiaskirche im hannoverschen Stadtteil Groß-Buchholz ist die erste Kirche, die abgerissen werden soll. Die Landeskirche, umfasst derzeit mehr als 1.500 Kirchen-, Kapellen- und Anstaltsgemeinden.
Zuletzt wurde die Gustav-Adolf-Kirche in Hannover entwidmet und an die Liberale Jüdische Gemeinde verkauft. Sie will das Gebäude zur Synagoge umbauen. Bereits in der Vergangenheit wurden immer wieder Kirchen aufgegeben. Die Martini-Kirche in Moringen bei Göttingen etwa wird bereits seit 1850 nicht mehr als Kirche genutzt. Sie gehört heute einer Töpferei. In der gotischen Paulinerkirche in Göttingen ist seit dem 19. Jahrhundert eine Bibliothek untergebracht. Die Martinskirche in Hoya bei Bremen wurde zum Kulturzentrum, eine Kirche in Börry bei Hameln zum Museum.
Nach Angaben der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) sind im Lauf der Geschichte immer wieder kleine oder schadhafte Kirchen durch einen Neubau ersetzt worden. Heute führen unter anderem demografische Veränderungen dazu, dass eine Kirchengemeinde ihre Kirche finanziell nicht länger halten kann und sich mit einer anderen Gemeinde zusammenschließt.
Für den Abschied von einem Kirchengebäude hat die VELKD vor einem Jahr ein Ritual entwickelt, das ursprünglich aus den Niederlanden stammt. Dort sind bereits zahlreiche Kirchen entwidmet und in Wohn- oder Geschäftshäuser umgewandelt worden. In Deutschland hatte sich der 23. Evangelische Kirchbautag 1999 für den Erhalt der Kirchen ausgesprochen. Bevor es zum Verkauf oder Abriss komme, müssten alle Möglichkeiten der Mit- oder Fremdnutzung durch kulturelle oder kommunale Träger erschöpft sein.
Das Abschiedsritual sieht vor, dass die christlichen Symbole wie Abendmahlskelche, Leuchter, Kerzen oder Taufschale aus der Kirche hinaus getragen und an ihren neuen Bestimmungsort gebracht werden. In einer Prozession zieht die Gemeinde am Schluss unter Orgelklang aus. Danach läuten die Glocken. Die Kirche wird abgeschlossen, der Schlüssel einer verantwortlichen Person übergeben. Mit einer Urkunde kann die Entwidmung besiegelt werden.
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