Käßmann fordert Abschaffung der Wehrpflicht

Nachricht 31. August 2007

Hannover/Wilhelmshaven (epd). Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann hat die Abschaffung der Wehrpflicht gefordert. Schon jetzt müsse im Prinzip nur noch derjenige zur Bundeswehr, der es selbst wolle. "Wir sollten konsequent sein und den letzten Schritt tun, indem wir die Wehrpflicht abschaffen und die Freiwilligendienste ausbauen", sagte Käßmann als Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer am Freitag in Hannover bei der Vorstellung des "Schwarzbuches Wehrpflicht".

Die Wehrpflicht habe schwerwiegende Folgen für die Lebensplanung junger Männer, erläuterte die Bischöfin. Das von der Zentralstelle und der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland (aej) herausgegebene "Schwarzbuch Wehrpflicht" stelle 99 von mehr als 4.000 Anfragen an die Zentralstelle vor. Aus ihnen werde deutlich, dass eine drohende Einberufung über Arbeitsplatz, Ausbildungslehrgang oder gar eine Abwanderung von Fachkräften ins Ausland entscheide.

Käßmann verwies auf eine neue Studie des Bundeswirtschaftsministeriums. Der Studie zufolge muss die Wirtschaft jährlich Aufträge in einer Höhe von rund 20 Milliarden Euro ablehnen, weil die nötigen Facharbeiter fehlen. Gleichzeitig berichteten junge Männer immer wieder, dass ihnen nur unter der Bedingung, keinen Wehr- oder Zivildienst mehr leisten zu müssen, eine unbefristete Stelle in Aussicht gestellt werde.

Die Bischöfin kritisierte weiter die aktuelle Musterungspraxis, die nur noch "ein Roulett-Spiel" sei. Rund 80.000 Männer eines Jahrgangs würden gar nicht gemustert und von den Verbleibenden fast jeder Zweite mit "untauglich" bewertet. Derzeit scheine zu gelten "Untauglichkeit ist der beste Arbeitsplatzschutz". Mit Gerechtigkeit habe das nichts mehr zu tun, sagte Käßmann.

Auch der Generalsekretär der Evangelischen Jugend, Mike Corsa, bezeichnete die Wehrpflicht als "nicht mehr tragbar". Laut Verfassung solle der Zivildienst die Ausnahme sein. Tatsächlich stünden derzeit etwa 85.000 Zivis nur 65.000 Wehrdienstleistenden gegenüber. Schon jetzt seien die Wohlfahrtsverbände auf eine Abschaffung der Wehr- und damit auch der Zivildienstpflicht vorbereitet. Die sozialen Einrichtungen könnten anstelle der Zivis Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres einsetzen.

Käßmann ist seit 2003 Präsidentin der Zentralstelle mit Sitz in Bockhorn bei Wilhelmshaven. Die seit 50 Jahren bestehende Einrichtung sieht sich als zentrale Anlaufstelle für Fragen zur Kriegsdienstverweigerung, zum Zivildienst und zur Wehrpflicht.

Internet: www.forum-wehrpflicht.de; www.zentralstelle-kdv.de; www.evangelische-jugend.de

(epd Niedersachsen-Bremen/b2500/31.08.07)
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Hintergrund: Die Wehrpflicht in Europa

Wilhelmshaven (epd). Die Abschaffung der Wehrpflicht liegt im europäischen Trend. Seit dem Ende des Kalten Krieges gehen immer mehr Länder aus Kostengründen zu Berufsarmeen über. "Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Deutschland als letztes Wehrpflichtland dasteht", sagt der Sprecher der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer in Bockhorn bei Wilhelmshaven, Peter Tobiassen.

Deutschland hält noch an der Wehrpflicht fest, doch es gibt eine freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst. In Europa schaffte 1963 als erstes Land Großbritannien die Wehrpflicht ab. In den vergangenen 13 Jahren vollzogen Belgien, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Spanien, Italien, Ungarn, die Slowakei, Portugal, Tschechien, Lettland, Rumänien, Malta und Slowenien den Wechsel von der personalstarken Wehrpflichtigenarmee zu einer kleineren Freiwilligen- und Berufsarmee.

In Dänemark gilt noch eine viermonatige Wehrpflicht, doch werden nur noch Freiwillige eingezogen. Die NATO-Staaten Bulgarien und Polen wollen die Wehrpflicht 2008 und 2012 abschaffen. An der Wehrpflicht halten neben Deutschland und Zypern die NATO-Staaten Estland, Litauen, Norwegen, Griechenland und die Türkei fest.

Mit Ausnahme Irlands bleiben auch die neutralen Staaten Schweden, Finnland, die Schweiz und Österreich bei der Wehrpflicht. In Österreich werden verschiedene Dienstpflichtvarianten diskutiert. Island unterhält traditionell kein eigenes Militär. Russland hat den seit längerem geplanten Übergang zu einer Berufsarmee wegen des Tschetschenien-Krieges zurückgestellt.

(epd Niedersachsen-Bremen/b2482/31.08.07)