Armutskonferenz fordert mehr Respekt vor armen Menschen

Nachricht 07. November 2006

Hildesheim (epd). Die Nationale Armutskonferenz hat an die Politiker appelliert, mit mehr Respekt von armen Menschen zu reden. Begriffe wie "soziale Hängematte", "Recht auf Faulheit", "Freizeitpark Deutschland" oder "Parasiten", die von Kanzlern oder Ministern benutzt worden seien, ließen Respekt und Würde vermissen, sagte ihr Sprecher Hans-Jürgen Marcus am Dienstag vor Journalisten beim ersten "nationalen Armutsgipfel" in Hildesheim.

Immer wenn Einschnitte bei Arbeitslosen oder Armen anstünden, zettelten Politiker Missbrauchsdebatten an, kritisierte Marcus: "Das ist bei den Betroffenen als diffamierend und stigmatisierend angekommen." Die öffentlichen Repräsentanten hätten hier eine hohe Verantwortung. Das Beispiel europäischer Nachbarländer zeige, dass man auch anders über arme Menschen reden könne.

Die Nationale Armutskonferenz hatte rund 50 von Armut betroffene Menschen sowie Vertreter von Sozialverbänden zu einem Meinungsaustausch nach Hildesheim eingeladen. Die Konferenz ist ein Zusammenschluss von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden in Deutschland.

Marcus forderte weiter, die Bildung für arme Kinder besser zu unterstützen. So müssten etwa Nachhilfestunden für die Schule oder Beiträge für Vereine und Verbände als einmalige Leistungen beim Arbeitslosengeld II mit übernommen werden: "Das wäre eine große Hilfe für Familien und Alleinerziehende in bedrängten Situationen." Einmalige Zahlungen seien auch bei Lernmitteln erforderlich: "Wenn es keine Lernmittelfreiheit gibt, muss es für arme Schüler die Möglichkeit geben, an Schulbücher zu kommen." Armut dürfe im Bildungswesen nicht bestraft werden.

Der arbeitslose Sozialpädagoge Karl-Heinz Kanne aus Göttingen sprach vor Journalisten von einer großen Wut, die er angesichts der gegenwärtigen politischen Debatten empfinde. Wenn die Bundesagentur für Arbeit milliardenschwere Überschüsse mache, dann müsse das Geld dringend für den weiteren Kampf gegen die Arbeitslosigkeit verwendet werden und nicht, um Beiträge zu senken. "Ich wünsche mir, dass es ganz viele wütende Menschen gibt, die raus gehen und was tun", sagte Kanne, der sehbehindert ist und sich im Erwerbslosenausschuss Göttingen engagiert: "Es gibt noch zu viele Arbeitslose, die ihre Wut in Bier ertränken."

Die alleinerziehende Mutter Dorothee Schmidt aus Hilden in Nordrhein-Westfalen kritisierte, dass Politiker die Situation armer Menschen vielfach schlicht ignorierten. Bei Gesprächen mit EU-Abgeordneten in Brüssel habe sie keine Antwort bekommen, als sie als Vertreterin des Verbandes der allein erziehenden Mütter und Väter ihr Anliegen vortrug.

Die stellvertretende Sprecherin der Armutskonferenz, Erika Biehn, forderte zusätzliche Gesundheitsleistungen beim Arbeitslosengeld II, etwa für Brille und Zahnersatz. Vom Regelsatz von 345 Euro könne sich niemand Zahnersatz leisten: "Daran wird langfristig zu erkennen sein, ob jemand arm ist oder nicht."

Sprecher Hans-Jürgen Marcus bekräftigte die Forderungen der Armutskonferenz nach einem um 20 Prozent erhöhten Regelsatz und nach gesetzlichen Mindestlöhnen. Die "Unterschichten"-Debatte habe beim "Armutsgipfel" keine Rolle gespielt, sagte er: "Wir haben kein Interesse an Begriffsdebatten. Uns geht es um das, was dahintersteht." Der Nationalen Armutskonferenz gehören unter anderem die Arbeitsgemeinschaften der Schuldnerberatung und der Wohnungslosenhilfe an sowie Verbände wie die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie oder die Caritas.

(epd Niedersachsen-Bremen/b3010/07.11.06)
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