Stiefkinder der Kunst - Kunsthistorikerin hat 324 Taufbecken in Niedersachsen erforscht
Von Karen Miether (epd)
Lüneburg (epd). Ein mit Fell bekleideter Junge lehnt sich lässig an ein Lamm. 1723 wurde dieser Johannes der Täufer im Knabenalter geschnitzt. Er krönt den Deckel eines Taufbeckens in der Lüneburger St.-Johannis-Kirche. In St. Georg in Celle kniet ein steinerner Engel und stützt mit seinem Kopf ein mächtiges Becken. "Die Taufbecken in niedersächsischen Kirchen sind sehr unterschiedlich", sagt Gisela Aye, die für ihre Promotion 324 Taufbecken und -ständer erforscht hat.
Aye und der Taufengel-Experte Axel Kronenberg aus Lamspringe bei Hildesheim haben ein Buch über Taufbecken und Taufengel aus der Zeit von 1650 bis 1850 geschrieben. Im August soll der Band in der Reihe Adiaphora erscheinen, die das Kunstreferat der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers herausgibt. Die Lüneburger Kunsthistorikerin beschreibt darin Beispiele aus lutherischen, katholischen und reformierten Kirchen in ganz Niedersachsen von Achelriede bei Osnabrück bis zum friesischen Zetel.
Sie erläutert, warum es dabei keine eindeutige Linie gibt: "Taufbecken waren Funktionsmöbel." Die Gestaltung von Altar und Orgelprospekt hatte laut Aye einen hohen Stellenwert. Doch die Becken wurden als künstlerische Stiefkinder von örtlichen Handwerkern oder von Gesellen gefertigt. Oft verwendete man Holz oder Steine aus der Region: in Lüneburg zum Beispiel aus dem örtlichen Kalkbruch.
Mit der Gestaltung der Taufbecken profilierten sich die christlichen Konfessionen nicht, denn um die Taufe habe es zwischen ihnen keinen Streit mehr gegeben, sagt Aye. "Manchmal mussten Taufbecken sogar weichen, weil es in der Kirche zu eng wurde." So sei nach dem Dreißigjährigen Krieg der Gottesdienstbesuch Pflicht gewesen, die Kirchen waren deshalb voll.
"Es wurde sehr lang gepredigt. Darum waren Sitzplätze begehrt. Sie wurden verkauft und waren eine gute Einnahmequelle", sagt Aye. Sie berichtet von einem Taufbecken aus Bronze in der Lüneburger Johannis-Kirche, das wegen seines zu hohen Deckels kurzerhand eingeschmolzen wurde: "Besucher hatten sich beschwert, weil sie von ihren Stühlen den Altar nicht sehen konnten."
Auch die im protestantischen Norden zwischen 1680 und 1780 verbreitete Mode der Taufengel ging oft auf Platzgründe zurück. Die hölzernen Figuren ließen sich per Seilzug nach oben ziehen oder schwebten zur Taufe mit einer Schale in der Hand herab. 101 dieser Taufengel verzeichnet das Buch von Aye und Kronenberg. Als Barockes aus der Mode kam, verschwanden viele von ihnen auf staubigen Dachböden. "In den vergangenen Jahrzehnten hat man sie wieder entdeckt", sagt Aye.
Auf den Spuren der Taufbecken ist die Kunsthistorikerin mehr als 10.000 Kilometer zu norddeutschen Kirchen gefahren. Mit über 50 Jahren begann sie neben der Arbeit in der familieneigenen Apotheke noch Kunstgeschichte zu studieren. Nach zwölf Semestern machte sie 2005 ihren Doktor. Ihr Thema passt dabei zu ihrem ehrenamtlichen Engagement. In St. Johannis in Lüneburg ist sie Kirchenvorsteherin und Bauexpertin.
(epd Niedersachsen-Bremen/b2121/08.08.06)
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