Genf, 31. Januar 2006 (LWI) - Der Lutherische Weltbund (LWB) hat den demokratischen Wahlprozess im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen in den palaestinensischen Gebieten am 25. Januar begruesst und die Hamas, die die absolute Mehrheit erringen konnte, aufgefordert, ihrer Verantwortung fuer eine solide Fuehrung des gesamten palaestinensischen Volkes gerecht zu werden und sich den Friedensbemuehungen mit Israel zu verschreiben.
"Um des palaestinensischen Volkes und des zukuenftigen Staates Palaestina willen muss die Hamas sich wandeln im Blick auf ihre Politik und Haltung gegenueber dem Staat Israel und sie muss sich zu Dialog und Verhandlungen verpflichten", erklaerte LWB-Generalsekretaer Pfr. Dr. Ishmael Noko in einer Stellungnahme, die heute veroeffentlicht wurde.
Noko brachte die Ueberzeugung des LWB zum Ausdruck, dass die neue Verantwortung der Hamas, die naechste Regierung zu bilden, das Potenzial habe, als Katalysator fuer die Wandlung der Gruppierung zu wirken. "Nachdem die Hamas nun diesen politischen Sieg errungen hat, ist sie verpflichtet, allen PalaestinenserInnen eine solide, demokratische und integere Fuehrung angedeihen zu lassen, unabhaengig von deren religioeser oder politischer Zugehoerigkeit. Die Hamas muss sich fuer die Einheit des palaestinensischen Volkes und fuer Religionsfreiheit einsetzen, zugunsten einer Gesellschaft der und fuer die BuergerInnen", so Noko.
In den ersten palaestinensischen Parlamentswahlen seit zehn Jahren gewann die islamistische Gruppierung Hamas 76 von 132 Parlamentssitzen. Die regierende Fatah-Partei von Praesident Mahmud Abbas kam nur auf 43 Sitze.
Der LWB-Generalsekretaer nannte die palaestinensischen Wahlen "ein Vorbild" fuer die allgemeine demokratische Entscheidungsfindung in einer Region, in der Demokratie "nach wie vor eher die Ausnahme denn die Regel ist". Er wuerdigte auch den erheblichen Beitrag, den die Hamas im Bereich sozialer Hilfen fuer das palaestinensische Volk und der Bekaempfung von Korruption leiste.
Noko unterstrich ausserdem die Unvereinbarkeit von Gewalt mit demokratischer Fuehrungsverantwortung, und er erinnerte sowohl die Hamas als auch die israelische Regierung an ihre Verantwortung, den Nahost-Friedensplan, die sogenannte "Roadmap", weiterzuverfolgen. Ziel dieses Plans ist die endgueltige und umfassende Loesung des Konfliktes zwischen Israel und Palaestina, mit zwei Staaten, die Seite an Seite in Frieden leben koennen.
Zu einem Zeitpunkt, an dem auch die politische Fuehrung Israels sich in einer "Phase des Wandels" befinde, seien die Risiken jedoch ebenso immens wie die Chancen, betonte Noko. "Wir beten darum, dass beide Seiten keine Gelegenheit zum Dialog ausschlagen und dass sich Weisheit und Zurueckhaltung durchsetzen, damit die Risiken, die augenblicklich bestehen, nicht ihr schreckliches Potenzial entfalten."
Der Generalsekretaer betonte die Verpflichtung des LWB und seiner Mitgliedskirche im Nahen Osten, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, den politischen und interreligioesen Dialog fuer Frieden und Stabilitaet in der Region zu foerdern und einen humanitaeren Beitrag zur Foerderung der Menschenrechte zu leisten. (451 Woerter)
Im Folgenden finden Sie den vollen Wortlaut der Stellungnahme von LWB-Generalsekretaer Pfr. Dr. Ishmael Noko:
Erklaerung des LWB-Generalsekretaers zu den Ergebnissen der palaestinensischen Wahlen
Der Lutherische Weltbund ist im Heiligen Land durch seine Mitgliedskirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, sowie durch sein Laenderprogramm, das unter anderem das Auguste Victoria-Krankenhaus auf dem Oelberg betreibt, praesent. Er begleitet seit langem die Friedensbemuehungen im Heiligen Land und foerdert den politischen wie interreligioesen Dialog, der das einzige Mittel ist, einen gerechten Frieden zwischen PalaestinenserInnen und Israelis zu schaffen. Gleichzeitig leistet der LWB medizinische und andere humanitaere Hilfe fuer die verarmte Bevoelkerung in Ostjerusalem und dem Westjordanland. Dementsprechend ist der Lutherische Weltbund von den juengsten politischen Entwicklungen in der Region unmittelbar betroffen und verfolgt sie aufmerksam.
Demokratische Prozesse fuehren zwangslaeufig zu Ergebnissen, denen manche nicht zustimmen. Und doch bleibt die Demokratie das am wenigsten ungerechte politische System, das bisher entwickelt wurde. Dies trifft auch auf das Ergebnis der palaestinensischen Wahlen zu - es ist legitim, den erfolgreichen Wahlprozess zu begruessen, trotz der vielerorts gehegten Besorgnis ueber dessen Ergebnis. In einer Region, in der Demokratie nach wie vor eher die Ausnahme denn die Regel ist, bieten die palaestinensischen Wahlen ein Vorbild fuer die allgemeine demokratische Entscheidungsfindung. Der Lutherische Weltbund moechte diese Tatsache ausdruecklich gewuerdigt wissen. Der erhebliche Beitrag der Hamas im Blick auf die Leistung sozialer Hilfen und die Bekaempfung von Korruption verhalf ihr zur Mehrheit der Stimmen der PalaestinenserInnen, die unter immer schwierigeren sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen nur mit Muehe das Lebensnotwendige erwirtschaften koennen und die ueber die grassierende Korruption enttaeuscht und frustriert sind.
Nachdem die Hamas nun diesen politischen Sieg errungen hat, ist sie verpflichtet, allen PalaestinenserInnen eine solide, demokratische und integere Fuehrung angedeihen zu lassen, unabhaengig von deren religioeser oder politischer Zugehoerigkeit. Die Hamas muss sich fuer die Einheit des palaestinensischen Volkes und fuer Religionsfreiheit einsetzen, zugunsten einer Gesellschaft der und fuer die BuergerInnen.
Besonders muessen wir in unserer Zeit betonen, dass Gewalt unvereinbar ist mit demokratischer Fuehrungsverantwortung und ethischer Legitimitaet in der Staatengemeinschaft. Dies gilt fuer Palaestina wie fuer alle anderen Staaten und Voelker. Um des palaestinensischen Volkes und des zukuenftigen Staates Palaestina willen muss die Hamas sich wandeln im Blick auf ihre Politik und Haltung gegenueber dem Staat Israel und sie muss sich zu Dialog und Verhandlungen verpflichten. Sowohl Hamas als auch die israelische Regierung tragen die Verantwortung, die "Roadmap" mit dem Ziel zweier Staaten, die Seite an Seite in Frieden leben, weiterzuverfolgen. Beide muessen anerkennen, dass das Heilige Land nicht nur einer, sondern drei Religionen heilig ist.
Der Lutherische Weltbund ist der Ueberzeugung, dass die Verantwortung, die der Hamas nun uebertragen wurde, die Chance in sich traegt, als Katalysator fuer deren Wandlung zu wirken. Zu einem Zeitpunkt, an dem auch die politische Fuehrung Israels sich in einer Phase des Wandels befindet, sind jedoch die Risiken ebenso wie die Chancen immens. Wir beten darum, dass beide Seiten keine Gelegenheit zum Dialog ausschlagen und dass sich Weisheit und Zurueckhaltung durchsetzen, damit die Risiken, die augenblicklich bestehen, nicht ihr schreckliches Potenzial entfalten.
Der Lutherische Weltbund und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land werden der palaestinensischen Bevoelkerung auch weiterhin medizinische Dienste, Bildung und Berufsbildung sowie Seelsorge anbieten und damit einen humanitaeren Beitrag zur Foerderung der Menschenwuerde, der Stabilitaet in der Region und der Bemuehungen um einen gerechten Frieden leisten. Und wir werden weiterhin, wie von jeher, beten um Frieden im Heiligen Land und um Gerechtigkeit fuer alle Kinder Abrahams.
Pfr. Dr. Ishmael Noko
Generalsekretaer
Lutherischer Weltbund
Genf, 31. Januar 2006
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Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine Gemeinschaft lutherischer Kirchen weltweit. 1947 in Lund (Schweden) gegruendet, zaehlt er inzwischen 140 Mitgliedskirchen, denen rund 66 Millionen ChristInnen in 78 Laendern weltweit angehoeren.
Das LWB-Sekretariat befindet sich in Genf (Schweiz). Das ermoeglicht eine enge Zusammenarbeit mit dem Oekumenischen Rat der Kirchen (OeRK) und anderen weltweiten christlichen Organisationen. Der LWB handelt als Organ seiner Mitgliedskirchen in Bereichen gemeinsamen Interesses, z. B. oekumenische und interreligioese Beziehungen, Theologie, humanitaere Hilfe, Menschenrechte, Kommunikation und verschiedene Aspekte von Missions- und Entwicklungsarbeit.