"Sie realisieren den Tod nicht" -
Trauerrituale sollen den Angehörigen der Flutopfer helfen
Von Marion Menne (epd)
Frankfurt a.M./Hannover (epd). Das Baby, das äußerlich wohlbehalten auf einer Matratze schwamm, oder der junge Mann, der sich tagelang mit Treibholz über Wasser hielt - Glücksfälle wie diese werden in den Flutregionen Asiens immer unwahrscheinlicher. Menschen bleiben vermisst oder ihre Leichname liegen bereits begraben, darunter vermutlich die meisten der rund tausend immer noch vermissten Deutschen. Für Angehörige von Flutopfern, die das Warten auf ihre Lieben nach und nach aufgeben müssen, ist diese Situation oft fast unerträglich. Psychologen und Theologen raten ihnen dringend, sich eigene Trauerrituale zu schaffen.
"Sie realisieren den Tod nicht", sagt die Psychotherapeutin Ulla Steger aus Düsseldorf, die speziell verwaiste Eltern betreut. Wer seine Lieben nicht beerdigen könne, dem fehle ein Ort zum Trauern. Die Psychologin empfiehlt daher, irgendwann an die Unglücksstelle zu reisen, "um innerlich den Abschied zu vollziehen".
"Manche machen vor lauter Verzweiflung alles, aber nicht das Richtige", sagt die Hamburger Notfallseelsorgerin der Feuerwehr, Erneli Martens. Sie ist eher skeptisch, was eine Reise zum Unglücksort
betrifft: "Wer sagt, dass sie vor Ort die Nähe zu dem Toten finden, die sie suchen?" Die "Landesfeuerwehrpastorin" rät dazu, eine Geste zu erfinden, die den Abschied deutlich macht. Eine Verewigung des Namens zum Beispiel auf einem Grabstein symbolisiere: "Der Name ist Gott in die Hand geschrieben und geht nicht verloren."
Auf die Möglichkeit, auch ohne Leichnam ein Friedhofsgrab anzulegen, verweist Landesbischöfin Margot Käßmann (Hannover). Wie damals nach dem Zweiten Weltkrieg, als Gräber für unbekannte Soldaten errichtet wurden, seien auch jetzt Trauerorte dringend nötig. Die Bischöfin schlägt einen zentralen deutschen Gedenkort für die Opfer der Flutkatastrophe vor. Wie wichtig ein solcher Ort sei, zeige sich zum Beispiel daran, dass knapp sieben Jahre nach dem ICE-Unglück in Eschede mit 101 Toten noch immer an der Unfallstelle Blumen abgelegt würden.
Auch Trauergottesdienste können helfen, mit dem Verlust leben zu lernen. So appelliert Käßmann auch an die Gemeinden, Gottesdienste und Seelsorge anzubieten. Die Psychologin Steger glaubt, dass die Gottesdienste selbst für jene Hinterbliebenen heilsam sind, die keinen Bezug zur Kirche haben - weil sie Gemeinschaft spüren lassen. Die Notfallseelsorgerin Martens drückt es so aus: "Es tut der Seele gut, nicht allein gelassen zu werden."
Die Pastorin kümmert sich derzeit um einige der 30 Familien aus Hamburg, die noch Angehörige vermissen. Sie hört Sätze wie: "Mein Mann war doch immer ein so guter Schwimmer - er kann nicht umgekommen sein."
Wo die Hoffnung auf Wiederkehr noch da sei, könne sie die Menschen nur bei ihrer Suche unterstützen, sagt Martens. Die Zeit der Trauer komme später.
Der Koordinator für die Notfallseelsorge am Düsseldorfer Flughafen, Joachim Müller-Lange, rät ebenfalls, den Menschen Zeit zu geben. Sie könnten dann selbst herausfinden, wie sie ihrer Trauer Gestalt geben wollen. Beim Flugzeugabsturz vor der Dominikanischen Republik 1996 entschieden sich beispielsweise die Angehörigen für einen dreigeteilten Gedenkstein in drei Ländern.
Besonders schwierig ist es nach Erkenntnissen von Völkerkundlern speziell für die Menschen in der am stärksten von der Flut betroffenen indonesischen Region Aceh. Es fehlen nicht nur die Leichen der Toten, sondern vielerorts auch die Nachbarn und Familien, die sie betrauern können. Rituale wie regelmäßige Gebete seien aber nach der Vorstellung der Einheimischen immens wichtig, damit aus den Toten beschützende Ahnen würden, sagt der Münsteraner Ethnologie-Professor Josephus Platenkamp. Ohne Begräbnisrituale würden die Toten zu bedrohlichen Geistern. (epd
Niedersachsen-Bremen/b0055/06.01.05)
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