Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann
Friedensandacht in der Marktkirche Hannover
Wort zum Kriegsbeginn im Irak
Friedensandacht Marktkirche Hannover 20.3.03
Liebe Gemeinde, Friede sei mit euch!
Das ist ja furchtbar, kann man denn sonst nichts tun, wurde ich heute mehrfach gefragt. Ja, wir fühlen uns alle miteinander ohnmächtig. Da gab es Gebete, Demonstrationen, Diplomatie und nun heute Morgen die Botschaft, die wir alle gefürchtet haben: Der Krieg hat begonnen. Das kann uns die Tränen in die Augen treiben. Wir sehen die Bilder von Bomben auf Bagdad. Wir hören die Reden des amerikanischen wie des irakischen Präsidenten, die sich auf Gott berufen. Wenn wir die Augen schließen können wir uns vorstellen in welcher Panik die fast 6 Millionen Menschen in Bagdad leben. Was sagt da eine Mutter ihrem Sohn, um sie zu beruhigen, mit welchen Worten bringt ein Vater in Bagdad seine Tochter heute Abend zu Bett? Wie sieht es aus den Krankenhäusern? Und wir fragen uns: was können wir tun?
O ja, wir können beten und das ist nicht nichts Um 18 Uhr haben in ganz Niedersachsen die Glocken geläutet, zu diesem Zeitpunkt versammeln sich in allen Kirchen unseres Bundeslandes Menschen zum Gebet. Wir können dankbar sein, dass endlich, endlich die Kirchen weltweit und gemeinsam zum Frieden rufen anstatt sich missbrauchen zu lassen für die Legitimation von Krieg. Heute Abend wird in Deutschland, in Europa, in Amerika, ja weltweit für den Frieden gebetet. Wir merken doch einem Kirchenraum wie diesem an, dass hier viele vor uns gebetet haben. Er ist ein durchbeteter Raum, das bestimmt sozusagen den Geist des Hauses. Deshalb ist auch eine durchbetete Welt eine veränderte. Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang rufen wir rund um den Globus zu Gott und denken aneinander, bitten füreinander. Rund um die Erde werden bei Einbruch der Dunkelheit Kerzen entzündet in den Kirchen, in den Fenstern der Häuser als Symbole für Licht in der Finsternis. Das sind gewichtige Zeichen der Gemeinschaft und des Friedens gegen allen Terror, der Zusammenleben zerstören will. Mit Gebeten und Kerzen treten wir an gegen Feindbilder, gegen selbsternannte Diktatoren, die Menschen knechten, gegen alle Kriegsrealität, die wir ununterbrochen auf den Bildschirmen sehen und im Radio hören. Was kann das bewirken? Seien wir nicht so kleinmütig! Gebete und Kerzen haben in Deutschland 1989 schließlich auch beachtliches bewirkt.
In der Präambel der UNESCO heißt es: „Krieg beginnt im Denken der Menschen, daher muss der menschliche Verstand auch fähig sein, Krieg zu beenden.“ Lasst uns die Hoffnung nicht aufgeben, dass das möglich ist. Lasst uns zuallererst selbst hoffen, dass Schwerter zu Pflugscharen werden können. Diese Vision des Propheten Jesaja war der damaligen DDR-Führung so gefährlich, dass ein einfacher Aufnäher mit diesem Symbol zur Verhaftung führen konnte. Lasst uns Friedensdenker und Friedenshoffende sein in den Kriegszeiten.
Mich beruhigt, dass die Deutschen offensichtlich endlich aus ihrer Kriegsgeschichte gelernt haben. Sie wissen, was es heißt, wenn Flüchtlinge bombardiert, Städte in Schutt und Asche gelegt, Soldaten von Bomben zerfetzt werden aus eigener Erfahrung oder den Erzählungen der Eltern und Großeltern. Und wenn es heißt, der Hauptangriff auf Bagdad solle dem auf Hiroshima ähneln nur ohne Verstrahlung, dem bleibt der Atem stocken, denn das Morden in Hiroshima, die Vernichtung einer ganzen Stadt auf einen Schlag war und bleibt unvorstellbar.
Vielleicht denken viele in diesen Stunden: wo ist denn jetzt Gott? Wie kann Gott das zulassen. Mir ist wichtig: Gott selbst kennt das Leiden. Gott selbst ist am Kreuz gestorben. Gott ist bei den Leidenden, bei denen die Angst haben heute Abend, heute Nacht und an jedem neuen Tag. Gott ist nicht verantwortlich für das sinnlose Leid, dass wir einander zufügen. Wir sind vor Gott verantwortlich für das, was wir tun (nach Etty Hillesum, im KZ ermordet). Deshalb sollte unser Beten für den Frieden auch Konsequenzen haben. Wir dürfen nicht länger tatenlos hinnehmen, dass diese ganze Rüstungsmaschinerie normal dazu gehört. Abrüstung muss neu ein Thema werden anstatt darüber zu lamentieren, die Friedensbewegung sei tot. Entwaffnung ist angesagt statt Waffenhandel. Gerechtes Teilen ist angesagt, statt Ignorieren der Armut und des Elends weltweit. Mediation, Vermittlung in Konflikten ist angesagt statt wegsehen bis es knallt. Weltinnenpolitik durch eine starke UNO ist angesagt statt starres festhalten an den eigenen Machtinteressen.
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute, schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief. Das ist unser Thema. Heute Abend mit Blick auf den unverantwortlichen Kriegsbeginn, der viele Tote mit sich bringen wird, deren Geschichten wir noch lange nicht kennen. Langfristig aber durch Einmischung in die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen statt wegsehen. Martin Luther King hat einmal gesagt: „Weder eine Einzelperson noch eine Gruppe von Menschen braucht sich einem Unrecht zu unterwerfen oder Gewalt anzuwenden, um sich wieder Recht zu verschaffen. Den es gibt den Weg des gewaltlosen Widerstandes. Das ist letzten Endes der Weg der Starken.“ Einen solchen Weg brauchen wir.
Wir kommen heute Abend zusammen mit Trauer, Enttäuschung, Angst und Zorn. Wir suchen Gemeinschaft mit Gott und miteinander, Trost und Hoffnung im gemeinsamen Gebet. Aber lasst uns auch auseinander gehen mit dem Mut, nicht abzulassen von der Sehnsucht nach Veränderung. Denn der Frieden und die Gerechtigkeit, sie brauchen auch ein aufrechtes Reden und Tun. Es geht darum, Gewalt zu überwinden, damit Frieden wachsen kann im Kleinen wie im Großen. Amen.
Wort der Landesbischöfin zum Kriegsbeginn im Irak
Hannover, 20. März 2003
Der Krieg hat begonnen. Bei mir herrscht die Trauer vor, dass wieder die Waffen siegen, haben doch so viele gebetet, demonstriert, Diplomatie angestrengt. Ist der Krieg nun eine „ultima ratio“? Jahrhunderte lang wurde in den Kirchen darüber gestritten, überlegt, ob und wie denn ein „gerechter Krieg“ theologisch zu begründen sei. Endlich hat sich in den Kirchen im 21. Jahrhundert offensichtlich weltweit die Einsicht durchgesetzt, dass es nicht um gerechte Kriege gehen kann, sondern nur um gerechten Frieden. Kirchen können nicht Kriege legitimieren, sondern haben zum Frieden zu rufen. Das ist in den letzten Monaten – Gott sei Dank - erkennbar geworden.
Krieg ist meistens nicht nur das Scheitern der Politik, die Niederlage der Diplomatie, sondern auch das Ende der Vernunft. Da wird ein Flüchtlingsschiff wie die Wilhelm Gustloff versenkt. Da schlachten sich Nachbarn gegenseitig ab. Da werden Frauen vergewaltigt, um den Gegner zu demütigen, da werden Kinder zu Soldaten gemacht. Traumata, die ein Leben lang bestehen bleiben. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ – das haben die Kirchen der Welt 1948 in Amsterdam formuliert. Seitdem gibt es dennoch eine grauenvolle Kette von Kriegen. Mit Entsetzen sehen wir, was in Bagdad geschieht, ahnen die Angst der Menschen vor den Bomben, die Panik der Kinder. Wer will heute eine Mutter in Bagdad sein? Und allzu oft verdrängen wir den Kriegsalltag etwa in Afrika, der in den Medien keine Rolle spielt.
Es ist an der Zeit, dass Religionen sich nicht mehr verführen lassen, Gewalt zu legitimieren. Religion sollte Faktor der Konfliktentschärfung sein und nicht Konflikte verschärfen. Und doch: auch in diesem Krieg wird Gottes Name auf allen Seiten im Munde geführt. Das ist für mich Gotteslästerung. Für die, die Jesus nachfolgen, gilt der Satz: Selig sind die Friedfertigen! Das ist das biblische Vermächtnis, hieraus leiten wir unseren Auftrag ab. Ja, ich bin mir sehr bewusst: auch wer nicht zu den Waffen greift, kann schuldig werden, weil ein Diktator mit Giftgas mordet, weil Flüchtlingselend und Terror nicht verhindert werden. Wer meint, mit Waffen Frieden zu bringen, wird aber auch schuldig, nimmt den Tod von Kindern und Frauen, von unschuldigen Zivilisten in Kauf. Wir sehen doch im Fernsehen die Unverhältnismäßigkeit der Bilder: Militärjets mit ihrer tödlichen Fracht auf modernsten Kriegsschiffen. Und auf der anderen Seite Menschen, die zu Fuß oder auf uralten Autos fliehen, versuchen, sich mit Wasser für die kommenden Tage zu versorgen.
Ja, der Irak muss abrüsten. Aber die ganze Welt muss abrüsten! Warum werden denn all diese A-, B- und C-Waffen entwickelt? Warum gehören die USA, Russland, Frankreich, England und Deutschland der traurigen Hitliste der größten Waffenexporteure an und klagen dann, dass diese Waffen angewendet werden? Warum investiert niemand in Mediation, Vermittlung in Konflikten? Warum sehen wir so lange weg, wenn Konflikte sich entwickeln? Wer will die Flüchtlinge aufnehmen, die vor Hunger und Krieg fliehen? Wie können 24.000 Menschen pro Tag verhungern und keine Fernsehkamera schaut hin? Sind wir völlig abgestumpft? Um 48 Mrd. US Dollar wurde der Militärhaushalt der USA für dieses Jahr aufgestockt. 55 Mrd. US Dollar würden die US benötigen, um die unmittelbaren Bedürfnisse der Armen zu stillen. Das macht zornig.
Eines Tages wird Gott abwischen alle Tränen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein – so heißt es im biblischen Buch der Offenbarung. Für Christinnen und Christen bedeutet das: wir setzen uns dafür ein, dass Tränen und Leid schon hier und jetzt überwunden werden als Spur des Reiches Gottes. Und: wir können zu Gott beten für den Frieden, für die Gemeinschaft der Völker über alle Grenzen hinweg. So kommen wir heute Abend in den Kirchen zusammen und bringen unsere Trauer, unsere Fragen, unseren Zorn, unser Mitgefühl mit den Menschen im Irak, aber auch den Soldatinnen und Soldaten, die in den Krieg geschickt werden und unsere eigene Angst vor Gott. Wie Menschen rund um den Globus beten wir und zünden Kerzen an in unseren Kirchen, stellen Kerzen rund um die Welt in die Fenster, wenn es dunkel wird, damit Licht erkennbar ist in der Finsternis. Wir wenden uns an Gott, der uns in Jesus Christus gezeigt hat, dass sein Ruf lautet: „Friede sei mit euch!“ Amen.
Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann