Meinungsforscherin: Kirchen sollen nicht ständig auf Mehrheiten schielen

Nachricht 05. November 2002

Köcher: Sie sollten sich nicht als Nachhut sondern als Avantgarde der Gesellschaft verstehen

T i m m e n d o r f e r S t r a n d (idea) – Die Kirchen sollten nicht ständig darauf schielen, ob sie mit ihren Positionen mehrheitsfähig sind, sondern mit Stolz und Selbstbewußtsein für ihre Botschaft eintreten. Diese Ansicht vertrat die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Renate Köcher (Allensbach am Bodensee), am 4. November vor Journalisten bei der EKD-Synode in Timmendorfer Strand.

Die Kirchen seien zu sehr auf Austritte und sinkende Mitgliederzahlen fixiert und hätten das Gefühl, Nachhut der gesellschaftlichen Entwicklung zu sein; sie sollten sich aber vielmehr als „Avantgarde“ verstehen. Kirchen seien etwas anderes als Parteien, die immer auf Mehrheiten aus sein müssen. Nicht nur Mehrheiten prägen die Gesellschaft, so Frau Köcher, sondern oft auch qualifizierte Minderheiten. Richtig und falsch sei keine Frage von Mehrheit und Minderheit.

Der Heidelberger Theologieprofessor Wilfried Härle pflichtete Frau Köcher bei. Die Kirchengeschichte zeige, daß die Kirche nicht unbedingt dann besonders weit gekommen sei, wenn sie den Zeitgeist zu 90 Prozent auf ihrer Seite hatte. Das größere Problem sei gewesen, daß sie zu angepaßt gewesen sei, wie etwa das Dritte Reich zeige. Härle und Frau Köcher hielten die Grundsatzreferate zum Schwerpunktthema der Synode „Was ist der Mensch?“.

Düstere Stimmungslage im Osten wegen Diesseitsfixierung
Große Unterschiede in den religiösen Einstellungen der Menschen bestehen nach Frau Köchers Worten weiterhin zwischen Ost- und Westdeutschland. In den neuen Bundesländern herrsche eine ausgeprägt diesseitige Ausrichtung vor. Die Mehrheit sage: Ich brauche keinen Gott und keine Religion. Die düstere Stimmungslage könne eine Auswirkung dieser Einstellung sein, weil man sich abhängig von materiellen Erfolgen mache.

Mehr Wert auf religiöse Erziehung legen
Den Kirchen in Ost und West gab Frau Köcher den Rat, mit mehr Selbstbewußtsein aufzutreten. Dies gebe ihrer Botschaft Strahlkraft. Außerdem müsse man die religiöse Erziehung ernster nehmen. Es sei falsch, wenn Eltern argumentierten, sie verzichteten auf religiöse Erziehung ihrer Kinder, weil sie sie nicht in ihrer späteren Entscheidung beeinflussen wollten. Untersuchungen zeigten, daß Kinder ohne religiöse Verankerung zu einer solchen Entscheidung kaum fähig seien.

Die Kirchen tun sich Frau Köcher zufolge schwer, Jugendliche mit abstrakten Botschaften zu erreichen. Dies werde anders, wenn sie sich in ihren Lebensalltag begäben und Wert auf eine verständliche Kommunikation legten. (128/129/2002/2)

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