In Hannover machen Führungskräfte ungewohnte Erfahrungen
Von Burkhart Vietzke (epd)
Hannover (epd). Oliver Kropp ist froh, dass er sich nicht ausgegrenzt fühlt. Der 34-jährige Manager vom Bremsenhersteller WABCO bewegt sich eine Woche lang in ungewohnter Umgebung: unter Obdachlosen und Armen. "Ich hatte gleich sehr viel Kontakt und gute Gespräche", sagt er im Kontaktladen "Mecki" der Diakonie in Hannover, in dem sich jeden Morgen 60 bis 80 Menschen von der Straße treffen.
Kropp, Leiter eines Kundencenters mit 25 Mitarbeitern, nimmt an einer "Lernwoche" für Führungskräfte aus der Wirtschaft teil. Das Diakonische Werk hat neun Manager eingeladen, sich unter dem Motto "Altera - die andere Seite" neuen Erfahrungen auszusetzen. Diakoniepastor Walter Lampe erläutert: "Wir versuchen, Verständnis zu wecken, damit nicht immer das Wirtschaftliche und das Soziale gegeneinander ausgespielt werden."
Wer einmal in die Lebenswelt der Obdachlosen oder Sterbenden, der Behinderten, Alten, Kranken oder Süchtigen eingetaucht ist, sagt Lampe, der gewinnt Sinn für sein Leben und seine Arbeit. Dann wird er auch in Krisen hinter dem Mitarbeiter den Menschen sehen, hofft der Diakoniepastor. Durch das Projekt will Lampe auch Verbündete gewinnen für soziale Arbeit und Sozialpolitik.
Oliver Kropp ist in seinem Betrieb auf das Projekt hin angesprochen worden. Er entschied sich, die Woche bei Obdachlosen zu verbringen bei denen, um die man in der Stadt einen Bogen macht. Als "Fremdkörper in unserem normalen Leben" nahm er sie bisher wahr. "Wenn man dann aber Kontakt zu einzelnen Menschen hat, ihre Geschichten hört, dann kriegt man eine ganz andere Einstellung dazu", sagt Kropp nach den ersten Begegnungen.
Seine Gesprächspartnerin Hannelore K. war vier Jahre lang obdachlos. Inzwischen hat sie mit Hilfe der Berater eine Wohnung gefunden. Sie kommt aber noch regelmäßig mit ihren Fragen in den morgendlichen Treff hinter dem Hauptbahnhof. Sie findet es gut, dass der Manager Kropp den Kontakt sucht. Ulla Neubacher von der Straßensozialarbeit legt Wert auf die Erfahrung: Wenn ein Mensch Wertschätzung erfährt, kann er in seinem Leben etwas verändern.
Für die Lernwoche ihrer Manager haben die Firmen, Banken und Behörden jeweils 1.500 Euro bezahlt. Sie kommen teils den besuchten Einrichtungen zugute, teils decken sie die Kosten. Für Diakoniepastor Lampe ist aber auch die "Zeitspende" wichtig, die die Manager und ihre Firmen leisten.
Eine zweite Runde mit weiteren Interessenten ist vorgesehen, denn ihre Zahl überstieg die der möglichen Plätze. Anders als bei ähnlichen Projekten ist auch der umgekehrte Seitenwechsel geplant: Fachkräfte aus der sozialen Arbeit sollen Einblicke bei Firmen und Behörden gewinnen.
Gefördert wird das Projekt "Altera" von der Hanns-Lilje-Stiftung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und der Versicherung Bruderhilfe Pax Familienfürsorge. Schirmherrin ist die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann. (b2388/22.10.02)
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