Zwei Hildesheimer Pastoren stehen wegen Kirchenasyls vor Gericht

Nachricht 30. Juni 2002

Hildesheim (Michael Grau/epd). Pastor Philipp Meyer aus Hildesheim findet sich derzeit in einer ungewohnten Rolle wieder. Gemeinsam mit seinem Kollegen Gerjet Harms muss er sich am 31. Juli wegen eines Kirchenasyls in seiner Gemeinde vor dem Amtsgericht Hildesheim verantworten. Der Vorwurf: Beihilfe zum illegalen Aufenthalt von Ausländern in Deutschland. Meyer kann darüber nur den Kopf schütteln: "Die Leute haben die Gemeinde um Hilfe gebeten. Wir können sie als Christen doch nicht vor die Tür setzen."

Seit April 2001 beherbergt die evangelische Matthäus-Gemeinde in ihren Räumen einen abgelehnten kurdischen Asylbewerber und seine Familie - bis der Rechtsweg in Deutschland endgültig ausgeschöpft ist, wie Meyer erläutert. Die Staatsanwaltschaft erließ daraufhin im Februar einen Strafbefehl von 3.750 Euro für Meyer und 5.250 Euro für Harms. Doch die Pastoren widersprachen. "Die Höhe hat alle üblichen Maßstäbe gesprengt", sagt Meyer.

Bei der "Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche" sieht man das ebenso. Eine derartig hohe Geldstrafe sei in Deutschland wegen eines Kirchenasyls noch nie verhängt worden, sagt der Vorsitzende, Professor Wolf-Dieter Just aus Mülheim/Ruhr. In Niedersachsen seien in jüngster Zeit viermal Pastoren angeklagt worden, in anderen Bundesländern gebe es das nicht: "Man will sie entmutigen und mit dem Kirchenasyl aufräumen."

Die kurdische Familie lebt in dem Gemeindezentrum in einem rund 30 Quadratmeter großen Raum. Vater, Mutter, vier Töchter und ein Sohn schlafen in einem großen improvisierten Bett. "Die Polizei war von Anfang an über den Aufenthalt informiert und hatte jederzeit Zugang", sagt Meyer. Sie verzichtete aber bisher auf einen Zugriff.

Aus Vorsicht bewegt sich der 36-jährige Vater ausschließlich auf dem Kirchengelände. "Wenn er in eine Kontrolle gerät, wird er sofort in die Türkei abgeschoben," sagt Meyer. Dort droht ihm eine mehrjährige Gefängnisstrafe, denn er wird mit Haftbefehl gesucht.

"Es ist auch so gut wie sicher, dass er gefoltert wird", sagt der Pastor. Und das kann nach seiner Kenntnis bedeuten: Elektroschocks, den Kopf unter Wasser tauchen, Malträtierung der Geschlechtsteile. Der Mann, der seinen Namen aus Angst vor dem türkischen Geheimdienst nicht in der Zeitung lesen will, gilt als Unterstützer der PKK. Als er 1995 vom türkischen Staat als Spitzel angeworben werden sollte und zwischen die Fronten zu geraten drohte, wie er schildert, floh er nach Deutschland.

Die Staatsanwaltschaft Hildesheim weiß, wie heikel es ist, Pastoren auf die Anklagebank zu setzen: "Sie handeln nicht aus Eigennutz, deshalb ist der Fall für uns etwas Besonderes", sagt Sprecher Bernd Seemann: "Aufgrund der Gesetze sind wir aber verpflichtet, die Strafverfolgung zu betreiben, wenn wir uns nicht der Strafvereitelung im Amt schuldig machen wollen."

Die Staatsanwaltschaft hat den Pastoren angeboten, das Verfahren einzustellen, sofern sie das Kirchenasyl beenden. Das aber kommt für die Gemeinde vorerst nicht in Frage. Denn weil neue Beweise für die Bedrohung des Vaters aufgetaucht sind, hat die Familie einen Asylfolgeantrag gestellt. (epd Niedersachsen-Bremen/b1653/25.07.02)


Das aktuelle Stichwort: Kirchenasyl

Hannover (epd). In Niedersachsen gewähren nach Angaben des Ökumenischen Netzwerks "Asyl in der Kirche" zurzeit acht Gemeinden Kirchenasyl, bundesweit sind es nach einer Liste vom vergangenen Oktober 55 Fälle. Das Wort "Asyl" leitet sich vom griechischen "asylon" ab und bedeutet Zufluchtsstätte. Solche Orte boten Verfolgten ursprünglich Schutz vor Rache oder Selbstjustiz und ermöglichten eine geordnete Rechtssprechung. Bereits im Alten Testament der Bibel ist von ganzen Städten als Asylorten die Rede.

Im christlichen Rom konnten die Bischöfe zugunsten von Angeklagten und Verurteilten bei dem Kaiser und den Gerichten um Straferlass oder Strafmilderung bitten. Um eine solche bischöfliche Fürbitte zu erreichen, flüchteten sich Verfolgte in die Kirchen. Die Heiligkeit dieses Raumes wurde auch zunehmend von Nicht-Christen respektiert und anerkannt. Wer in den geschützten Kirchenraum eindrang, um gewaltsam einen Flüchtling zu ergreifen, beging ein Sakrileg.

Seit den 80er Jahren suchen verstärkt Flüchtlinge den Schutz kirchlicher Räume, um einer Abschiebung zu entgehen. Sie werden in der Regel von Unterstützern aus den Gemeinden versorgt. Das Kirchenasyl ist dabei kein rechtsfreier Raum. Es beruht auf der oft stillschweigenden Übereinkunft, dass die Polizei aus Respekt vor sakralen Räumen in der Regel nicht in das Kirchenasyl eindringt. In einigen Fällen sind dennoch Kirchenasyle geräumt worden. (epd Niedersachsen-Bremen/b1667/25.07.02)
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