Startseite Archiv Tagesthema vom 10. März 2023

"Ihr Mut ist unfassbar groß"

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Seit Monaten organisieren Ginaz Brönnecke und Mona Gharib mit ihrem Verein Avaje Iran jeden Samstag Demonstrationen in Hannovers Innenstadt gegen das iranische Regime. Sie haben dabei selbst Angst vor Spitzeln – doch das Leid der Menschen im Iran sei so viel größer.

Mädchen werden vergiftet, nur, weil sie zur Schule gehen. Ein Land vergiftet seine eigene Jugend, weil sie sie nicht unter Kontrolle hat. Die Gräuel, die Frauen und Mädchen, aber auch LSBTQIA-Aktivist*innen im Iran angetan wird, sind unvorstellbar. „Darüber zu sprechen, also Worte wie Mord, Folter und Vergewaltigung auszusprechen, fällt mir nicht leicht“, sagt Mona Gharib, „doch es muss sein“. So tut sie es, in ein Mikrofon, jeden Samstag am Kröpcke in Hannovers Innenstadt, wo hunderte oder tausende Menschen entlangströmen. Die 42-Jährige ist in Teheran geboren und im Vorstand des deutsch-iranischen Vereins Avaje Iran. Ginaz Brönnecke ist 43 Jahre alt, ebenfalls im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen. Sie ist die Vorsitzende des Vereins. Neben Demonstrationen plant sie Solidaritätsmärsche, fährt zu größeren Kundgebungen nach Düsseldorf oder Brüssel und hält Vorträge.

Ihre Stimmen sind stark und klar, wenn sie dort mit dem Mikro in der Hand stehen und deutlich machen, was es für Frauen bedeutet, im Iran zu leben: Sie dürfen ohne Zustimmung des Mannes oder Vaters keinen Beruf ausüben, nicht ins Ausland reisen, keinen Sport machen, kein Rad oder Motorrad fahren. Ohne Begleitung des Mannes dürfen sie nicht ins Kino oder zum Essen ausgehen. Bei Gerichtsverhandlungen sind Frauen als Zeuginnen nicht zugelassen – ihr Wort zählt schlicht nichts. Eine Scheidung kann nur der Mann einreichen. Gibt es Kinder über sieben Jahre in der Ehe, gehören sie fortan dem Mann allein. Wer sich angeblich nicht korrekt kleidet, wird angegriffen oder verhaftet, es gibt sogar Todesurteile für Demonstrierende. Und Giftanschläge auf Schülerinnen. 

„Es ist unglaublich, wie viel Mut die Demonstrierenden haben, dass sie weiter auf die Straße gehen und für ihre Rechte einstehen“, sagt Mona Gharib, die Umweltreferentin im Haus kirchlicher Dienste ist. „Der Kampf der Frauen im Iran hat nicht nur mit dem einen Land zu tun, sondern generell mit Menschenrechten.“ Den Mut, weiterzumachen, zögen die Menschen im Iran auch aus den Bildern aus anderen Erdteilen, die zeigen, dass sie unterstützt werden und nicht allein sind. „Die Welt sieht, was passiert“, sagt Ginaz Brönnecke. „Darum ist es so wichtig, dass wir auch in Deutschland und anderen Ländern weiter demonstrieren. Die Berichte von Iranerinnen und Iranern auf den sozialen Medien liken und teilen. Man kann online auch vpn-Zugänge stellen, damit die Menschen weiter veröffentlichen können, was passiert - das ist für sie lebensnotwendig.“

Sie selbst könnte ihren Eltern „immer noch nur die Füße küssen“, dass sie Anfang der 80er Jahre, nach der Revolution, als Ginaz Brönnecke erst drei Jahre alt war, den Mut hatten, nach Indien und dann Deutschland zu fliehen. Tanten, Onkel, die Großeltern: Alle flohen aus dem Iran, leben nun in Kanada, den USA, Großbritannien. Über das Internet sind sie ständig miteinander verbunden.

Und dennoch fühlt sich Ginaz Brönnecke selbst hier in Deutschland nicht sicher - erzählt, dass ihr Verein bereits einen Spion des Regimes identifiziert hat, wie er Demos filmte. Was passiert mit den Aufnahmen, könnten die Spione ihnen gefährlich werden? Sie haben der Polizei alle Informationen zur Verfügung gestellt – doch die könne nichts tun. „Der deutsche Staat schützt seine Bürger nicht so, wie er es müsste. Angst schwingt bei unseren Demos immer mit“, sagt Mona Gharib mit Nachdruck. „Aber in dem Moment, in dem ich weiß, wofür ich hier stehe, um die Stimme von unschuldigen Zivilisten im Iran zu sein, die gefoltert, verschleppt, vergewaltigt und umgebracht werden, öffentlich erhängt werden, dann ist dieses Gefühl von Angst, das ich hier spüre, so klein und nichtig, dass gar keine andere Wahl bleibt, als Samstag für Samstag hier zu stehen und die Stimme der Iranerinnen zu sein.“

Christine Warnecke/EMA

Der Verein Avaje Iran

Der deutsch-iranischen Kulturverein/Avaje Iran e.V. hat sich im Dezember 2022 in Hannover gegründet und ist parteiunabhängig und offen für alle religiösen Richtungen. Er will die Stimme freier Iranerinnen und Iraner und Anlaufstelle für Geflohene sein. Der Verein fordert unter anderem die Schließung des iranischen Zentrums in Hamburg, das die Mullahs stütze, härtere Sanktionen gegen iranische Funktionäre und Einrichtungen, die die Menschenrechte missachten, und die Einfrierung aller Mullah-Konten.