Startseite Archiv Tagesthema vom 07. Mai 2020

Wie Selbstständige durch die Corona-Krise kommen

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Während die Kirche Lockerungen für ihre eigenen Angebote wie Gottesdienste, Seelsorge und Krankenbesuche organisiert, muss sie auch auf einer anderen Ebene den Herausforderungen gerecht werden: als Arbeitgeberin. Wie geht es Selbstständigen, die auch von kirchlichen Aufträgen leben? Wie kompensieren sie abgesagte oder verschobene Projekte? Fünf Betroffene aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen haben dem Journalisten Lothar Veit von ihren Erfahrungen berichtet.

Als Comedy-Stewardess hätte Svenja Dunkel die Gäste beim Tag der Kirchenvorstände begrüßt und ihnen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Auf dem Hochrad hätte die 42-Jährige die Menschen umkreist, aber wie die echten Stewardessen auch muss Dunkel in diesen Tagen am Boden bleiben. Die Dankeschön-Veranstaltung der Landeskirche ist auf 2021 verschoben worden. Und die Artistin und Frequenzmanagerin gehört zu den vielen Freiberuflern, die die Corona-Krise mit voller Wucht trifft.

"Mir wurde alles von 100 auf 0 runtergefahren", sagt sie. Als Künstlerin ist die Hannoveranerin, die im Stadtteil Linden lebt, als Walking Act oder Performance-Percussionistin bei Messen und anderen Großveranstaltungen im Einsatz. Ihr anderes Standbein führt sie hinter die Kulissen: Sie ist Frequenzmanagerin, ein weithin unbekannter Beruf. Durch ihre langjährige Tätigkeit beim Mikrofonhersteller Sennheiser kam sie früh mit dem Bereich Funktechnik in Berührung und arbeitete für namhafte Künstler.

Heute wird sie direkt von Stars wie Helene Fischer oder für große Fernsehshows gebucht. Svenja Dunkels Job ist, dafür zu sorgen, dass die zahlreichen drahtlosen Funkstrecken von Mikrofonen, Kameras, Radio und Fernsehen oder anderer Frequenznutzer sich nicht gegenseitig stören. Ein technischer Beruf, bei dem ihr die eigene Bühnenerfahrung hilft: "Ich weiß, wie Künstler sich auf der Bühne bewegen wollen. Sie sollen vergessen dürfen, dass es Funk gibt und sich um solche Dinge nicht kümmern müssen." Bei der Fußball-EM im Juni wäre sie dreieinhalb Wochen für den reibungslosen Funkverkehr im Stadion von Bukarest zuständig gewesen. Auch dieser spannende Auftrag – gestrichen.

Für den entfallenen Auftritt beim Tag der Kirchenvorstände hat Svenja Dunkel ein Ausfallhonorar in Höhe von 50 Prozent erhalten. "Die Kirche ist die einzige, die gezahlt hat. Das ist sehr loyal gelaufen", lobt die 42-Jährige. Ansonsten entgehen ihr von März bis August schätzungsweise 40.000 Euro Einnahmen. Viele Veranstaltungen sind auf 2021 verschoben. Allerdings tröstet sie das wenig: "Dann stehen auch wieder andere Sachen an, es sind bereits viele Veranstaltungen geplant. Ich kann mich leider nicht zweiteilen."

Ob sie ihre Circus-Tricks in der Zwischenzeit nicht einfach in Online-Workshops vermitteln könne, sei sie gefragt worden. "Soll ich vier bis acht Stunden vor der Kamera Jonglieren zeigen? Das schaut sich doch niemand an." Die Corona-Krise bietet Svenja Dunkel daher die unfreiwillige Chance, sich zu erholen. "Ich habe über Jahre auf einem hohen Energielevel gearbeitet und kann eine Pause gut gebrauchen." Sie darf nur nicht zu lange dauern. Doch vorerst kann die vielseitige Lindenerin durchaus die positiven Seiten sehen: "Ich probe endlich mal wieder und spiele ausgiebig Schlagzeug, das habe ich seit gefühlt 100 Jahren nicht gemacht – und habe einen unfassbaren Spaß dabei."

Er hat gerade zwei neue Leute eingestellt. Das passt eher nicht zu all den Krisennachrichten von Kurzarbeit und Insolvenzen. Doch Malermeister Andreas Schendel hat nach wie vor volle Auftragsbücher. "Ich habe beruflich keine Einschränkungen", sagt der 58-jährige Handwerker aus Wienhausen im Kreis Celle. Er sei zurzeit nicht so häufig in Privatwohnungen im Einsatz, aber bei Außenfassaden oder Neubauten gebe es wenig Kontakt zu den Auftraggebern, da können er und sein Team relativ normal arbeiten. "Natürlich halten wir uns an die Hygieneregeln und haben immer Desinfektionsmittel dabei", sagt Schendel. Und auch die Gesichtsmaske sei Pflicht, zumindest im direkten Kundengespräch. "Arbeiten könnte man unter der Maske nicht den ganzen Tag."

Größere wirtschaftliche Einbußen seien womöglich erst im kommenden Jahr zu erwarten, "weil dann bei vielen kein Geld mehr da ist", vermutet der Maler. Vor allem die Kollegen, die mehr private als öffentliche Auftraggeber haben, könnten dann Schwierigkeiten bekommen. Aktuell treibt Andreas Schendel höchstens die Angst um, dass sich einer seiner Mitarbeiter mit dem Corona-Virus ansteckt. "Der ganze Betrieb müsste 14 Tage in Quarantäne gehen. Wenn dann gerade ein Kunde sein Wohnzimmer ausgeräumt hat und wir nicht kommen, steht der da." Zu seiner Firma gehören vier Mitarbeiter plus seine Frau im Büro, eine Auszubildende und demnächst die zwei neuen Kollegen, die Schendel für einen anstehenden größeren Auftrag eingestellt hat.

Für das Amt für Bau- und Kunstpflege der Landeskirche ist der Malermeister zurzeit in zwei Sakralgebäuden im Einsatz. Auch die Kirche hält alle ihre Baustellen am Laufen, die Arbeit geht ohne größere Einschränkungen weiter. "Man muss sich mehr abstimmen, damit nicht gerade alle in einer Ecke werkeln", sagt Andreas Schendel. "Aber das ist in Kirchen ja nicht so schwer."

Olli Schulte ist bei vielen Veranstaltungen nicht wegzudenken. Wenn das Maschseefest in Hannover reibungslos über die Bühne geht, liegt das vor allem an ihm. Und wenn es doch mal Reibungen gibt, ist er es, bei dem das Telefon klingelt – dann hat er Lösungen parat. Schulte kümmert sich um Genehmigungen, Sicherheit, Spielregeln und die Einhaltung derselben. Zurzeit klingelt das Telefon vor allem, wenn es darum geht, Projekte rückabzuwickeln. "90 Prozent meiner Arbeit besteht aus Großveranstaltungen", sagt der Produktionsmanager und Fachmeister für Veranstaltungssicherheit. Wann die wieder stattfinden können, steht in den Sternen. Schulte kümmert sich um die Abläufe beim Expo Plaza Festival, beim Internationalen Feuerwerkswettbewerb oder beim Hannover Marathon – 2020 findet nichts davon statt. Ebenso ein ganz neues Festival in Nordrhein-Westfalen, das dieses Jahr das Licht der Welt hätte erblicken sollen. "Vier Jahre lang haben wir es konzipiert."

Für die Landeskirche hat er unter anderem beim letzten großen Tag der Ehrenamtlichen gearbeitet. 4.000 Menschen in einer Messehalle: Daran ist aktuell nicht zu denken. "Die kirchlichen Formate haben mir immer sehr viel Spaß gemacht, außerdem ist die Kirche ein sehr fairer und professioneller Auftraggeber", sagt der Lehrter, der zurzeit mehr Zeit im Garten verbringen darf, als ihm lieb ist. "Ich sitze gern im Garten und bin auch froh, dass ich nicht in einem Hochhaus in Hannover wohne. Aber ich arbeite halt auch total gerne." In der jetzigen Situation fühlt der 53-Jährige sich durchaus privilegiert. "Ich bin seit 30 Jahren im Geschäft. Wenn man als Freiberufler vernünftig wirtschaftet, sollte man eine gewisse Zeit überbrücken können." Er weiß aber auch, dass nicht alle Branchen etwas zurücklegen können. "In meinem Umfeld spielen sich tragische Szenen ab: Die Schaustellerei liegt am Boden, auch die Caterer, die sich auf die Bundesligen spezialisiert haben, sind in Schwierigkeiten. Bei einigen wird in vier Wochen das Licht ausgehen", fürchtet Schulte. "Ich bekomme täglich Insolvenzmeldungen von befreundeten Firmen."

Gleichwohl hat er an den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise wenig auszusetzen. "Ich bin sonst ein eher regierungskritischer Mensch. Aber ich finde, dass die Bundesregierung zurzeit eine seriöse Politik macht und fühle mich gut aufgehoben." Und natürlich macht der Profi sich Gedanken über die Zeit nach Corona: "Wie können Veranstaltungen künftig aussehen? Ich denke, es wird in den nächsten zwei Jahren kein größeres Fest ohne ein durchdachtes Hygiene-Konzept geben."

"Ich nehme es, wie es kommt" – Orgelbauer Udo Feopentow hat diese Haltung nicht erst seit der Krise. Ja, auch er muss große Umsatzeinbrüche erleiden. Zu seiner Arbeit gehört die "Konzertpflege", also Orgeln für ein Konzert stimmen und auf Vordermann bringen. Dieser Teil entfällt. Aber dann gibt es da auch die Langzeitverträge zur Instrumentenwartung. "Diese Kunden halten mir absolut die Treue", sagt der 56-Jährige. Größere Orgelbauprojekte seien ohnehin zurückgegangen, sein letzter Neubau ist fünf Jahre her. Das habe nichts mit Corona zu tun. Im Gegenteil: Kirchenschließungen seien keine Seltenheit mehr, die kostbaren Instrumente würden dann verkauft.

Da sei es schon eine Besonderheit, wenn die Nathanael-Gemeinde in Hannover ihre bisherige Orgel in den Kirchenneubau mitnehme. Zuvor war Feopentow mit der Reinigung, Aufarbeitung und Neuintonation beauftragt worden. Auch an einen Orgelanbau in Berlin und die Generalüberholung der Orgel in Lehrte-Immensen erinnert sich der 56-Jährige gern. "Ich lebe diesen Beruf, ich muss das machen."

Für Udo Feopentow gab es vor drei Jahren mehrere Einschnitte. Er stellte sich neu auf, verkleinerte seine Werkstatt und zog sich auf ein kleines Dorf im Landkreis Celle zurück. "Ich bin seitdem so unendlich flexibel geworden, dass mir die Krise nichts anhaben kann. Dieses Entschleunigte passt gerade ganz gut in mein Leben", sagt der gelernte Tischler und Orgelbauer. Neulich hatte er im Raum Wolfsburg zu tun und konnte in aller Stille am Orgelklang arbeiten. "An einem Samstag. Normalerweise knattern da die Rasenmäher drumherum." Diese Zeiten seine eine "tolle Übung für Achtsamkeit und Wertschätzung".

Frank Röpke beschreibt das Problem in einem Satz: "Wir leben davon, dass Menschen zusammenkommen und sich treffen“. Nur: Wenn Menschen aktuell eines nicht tun sollen, dann sich treffen. Als Projektleiter für Gastevents auf dem Gelände der Deutschen Messe AG hat Röpke zwar nicht überwiegend mit den fünfstelligen Besucherzahlen zu tun, aber auch sein Bereich liegt brach. "Bei uns passiert gerade gar nichts, es bricht alles weg", sagt er.

Bei Veranstaltungen der Landeskirche auf der Messe wie etwa dem Kongress "kirche²" ist er für Logistik, Catering, Technik und Besucherführung zuständig. Ansonsten kümmert sich der 44-Jährige vor allem um kleinere Zusammenkünfte etwa der Versicherungs- oder Automobilbranche. Während der Großteil seiner Kollegen in Kurzarbeit ist, hat Frank Röpke in diesen Tagen eine ganz andere Aufgabe. Er organisiert den Aufbau eines Behelfskrankenhauses mit knapp 500 Betten auf dem Messegelände mit. Sollten die Krankenhäuser ausgelastet sein, vor allem die Intensivstationen, sollen leicht bis mittelschwer erkrankte Corona-Patienten in der Behelfseinrichtung in Halle 19/20 behandelt werden. Die Region Hannover hofft, dass dieser Fall nicht eintritt, aber trotzdem muss alles vorbereitet sein.

Ansonsten besteht sein Job darin, Veranstaltungs-Anfragen für Ende 2020 und die folgenden Jahre zu bearbeiten – in der Hoffnung, dass sie stattfinden können. Bis zum 31. August hat die Bundesregierung alle Großveranstaltungen untersagt. "Aber wie definiert man Großveranstaltungen?", fragt der Projektleiter. "Ich will der Politik keinen Vorwurf machen, aber das müsste differenzierter betrachtet werden als bisher." Ihm sei klar, dass ein Maschseefest mit einer Million Besuchern nicht stattfinden könne, "aber eine Veranstaltung mit 400 Teilnehmern im Convention Center könnte man durchführen". Dort passten eigentlich 1.100 Menschen hinein, es sei daher möglich, Abstand zu wahren und die Hygienevorschriften einzuhalten. "Bei uns können ganz andere Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden als beim Maschsee- oder Oktoberfest", betont Röpke.

Interviews und Redaktion: Lothar Veit

So hilft die Landeskirche

Die hannoversche Landeskirche hat sich auf Grundsätze für Ausfallhonorare verständigt. Da alle Arten von Veranstaltungen zurzeit untersagt sind, betrifft dies auch kirchliche Veranstaltungen wie Konzerte, Seminare, Kurse, Tagungen und Vorträge sowie Gottesdienste und andere kirchliche Feiern, die oft langfristig geplant waren und für die externe Musiker*innen, Künstler*innen, Referent*innen oder Kursleiter*innen gebucht wurden. Obwohl für die Kirche in den meisten Fällen keine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung besteht, will das Landeskirchenamt die Betroffenen nicht im Stich lassen. Bis zu 80 Prozent der vereinbarten Honorarzahlungen können Personen erhalten, die zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes darauf angewiesen sind. Zugleich verzichtet die Landeskirche auf die Rückforderung bereits gezahlter Zuschüsse für abgesagte Konzerte und Ähnliches. Detaillierte Informationen finden sich hier.

Eimterbäumer: "Die Hilfe besteht im Zuhören"

Unter dem Namen „Corona-Care“ bietet der Evangelische Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt ein neues Krisentelefon an. An wen richtet sich das Angebot?
Es richtet sich an Menschen in einer beruflichen oder wirtschaftlichen Krise jetzt in der Corona-Zeit. Dabei muss es nicht unbedingt einen Bezug zur Kirche geben. Aber die Anrufer wissen ja, dass sie sich an eine kirchlich getragene Hotline wenden.

Wer sitzt am anderen Ende der Leitung?
Es sind Kolleg*innen aus dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt. Oder erfahrene Seelsorger*innen, also Pastor*innen, die sich mit Wirtschaft auskennen.

Mit welchen Fragen kommen die Anrufer?
Bisher rufen eher Arbeitnehmer an, weniger Selbständige und Unternehmer, für die wir aber auch da sind. Beispiel: Eine Assistentin der Geschäftsführung klagt über gestiegenen Stress, weil alle anderen im Home-Office arbeiten. Oder es melden sich Pflegekräfte, die noch auf Schutzausrüstung warten.

Geht es den Menschen in wirtschaftlichen Notlagen nicht eher um finanzielle Soforthilfen als um Seelsorge?
Ja, das dürfte so sein. Aber da sind wir dann die falsche Hotline. Wir können an andere Hilfsangebote verweisen, sind aber keine Stelle, bei der man Nothilfen beantragen kann. Unsere Hilfe besteht im Zuhören. Darin, ein offenes Ohr zu haben und dass die Menschen ihre Sorgen einmal aussprechen können. Im Gespräch tauchen dann manchmal neue Lösungsmöglichkeiten auf, wie man eigene Ressourcen neu entdecken kann.

 

Das kostenfreie Bereitschaftstelefon „Corona-Care“ ist unter der Nummer (0800) 330 15 15 täglich von 10 bis 22 Uhr erreichbar.