Den Ausdruck "Du Jude!" hat Janik Hinrichs auf dem Schulhof schon oft mit angehört. "Vor allem in den Pausen", erzählt der 18-jährige Berufsschüler aus der Krummhörn in Ostfriesland in der Evangelischen Akademie Loccum bei Nienburg. "Du Jude!" bedeutet als Schimpfwort soviel wie "Du Opfer!" Vor allem jüngere Schüler in den unteren Klassen redeten so. "Gerade solche, die noch nie richtig darüber nachgedacht haben." Harmlose Jugendsprache oder schon handfester Antisemitismus? Und was tun? Darüber haben rund 50 Teilnehmer aus Schule, Bildung und Wissenschaft bei einer Loccumer Tagung beraten, die am Mittwoch zu Ende ging.
Stets dabei im Hintergrund: Der Fall eines jüdischen Schülers aus Berlin-Friedenau, den seine Eltern im Frühjahr von der Schule nahmen, nachdem er von muslimischen Mitschülern beleidigt und körperlich angegriffen worden war. Die Schule, die den offiziellen Titel "Schule ohne Rassismus" trug, hatte den Eltern mitgeteilt, die Lehrer könnten die Sicherheit ihres Sohnes nicht mehr garantieren, wie die Sozialwissenschaftlerin Julia Bernstein aus Frankfurt/Main in Loccum berichtete. Generell fühlten sich viele Lehrer überfordert mit dem Thema.
Mit dem Zuzug vieler Juden aus Osteuropa seit den 1990er Jahren habe auch die schon überwunden geglaubte Judenfeindlichkeit in Deutschland wieder zugenommen, erläuterte Michael Fürst vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. "Und wir müssen uns überlegen, wo führt das hin?" Rund 250.000 Juden leben nach seinen Angaben derzeit wieder in Deutschland - bis 1989 waren es gerade einmal 28.000. "Wir sehen auf einmal wieder Juden auf der Straße, die sich erkennbar machen."
Allerdings stellte der streitbare Verbandsvorsitzende gleich zum Auftakt der Tagung eine provozierende These in den Raum: Wenn ein Schüler gedankenlos eine Hakenkreuz auf den Tisch kritzele, müsse er deswegen nicht gleich ein hartgesottener Antisemit sein. "Ich wehre mich dagegen, jedem zu unterstellen, er sei Antisemit." Kritiker müssten vorsichtig mit solchen Zuschreibungen umgehen. Es komme immer auf die Situation an.