Startseite Archiv Tagesthema vom 08. November 2015

Menschenwürdig sterben

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Vertreter der evangelischen Kirchen in Niedersachsen haben das am 6. November vom Bundestag beschlossene Verbot von Sterbehilfe-Organisationen als notwendigen Schritt begrüßt. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister zeigte sich von der intensiven Debatte zur Regelung der Sterbebegleitung beeindruckt:

„Die Abgeordneten haben sachlich, ernsthaft und hoch engagiert das komplexe Thema der Sterbebegleitung und damit die weitgehend tabuisierten Themen Tod, Leid und Sterblichkeit diskutiert“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst.

In der Sterbebegleitung insgesamt sei dies jedoch nur ein Aspekt unter vielen. Nicht nur die Kirchen, sondern die Gesellschaft insgesamt müsse sich weiterhin um eine menschenwürdige Sterbebegleitung kümmern, unterstrich der Bischof. Auch müssten Kriterien für die Gewissensentscheidungen der Ärzte und Angehörigen Sterbender weiter entwickelt werden.

Auch der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns zeigte sich erfreut über die Neuregelung. „Mit dem Gesetz wurde eine schiefe Ebene abgeschafft, damit assistierter Suizid nicht zur Regel wird“, sagte der evangelische Theologe dem epd. Die Selbsttötung bleibe eine Entscheidung des eigenen Gewissens, über die nicht geurteilt werden dürfe.

Auch Meyns bezeichnete die vorangegangene politische und gesellschaftliche Debatte als Gewinn: „Rechtlich wird es aber ein schwieriges Thema bleiben, weil es ein Grenzfall des Lebens ist.“

Dagegen hält der Braunschweiger Palliativ-Experte Rainer Prönnecke die Bundestagsentscheidung für unzureichend. Das neue Gesetz verbiete allein die organisierte Sterbehilfe, sagte der Chefarzt des evangelischen Krankenhauses Marienstift in Braunschweig dem epd. Dies bedeute, dass andere Formen der Sterbehilfe indirekt gefördert würden.

Dem neuen Gesetz zur „Geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ zufolge bleiben Menschen straffrei, die nicht geschäftsmäßig handeln, Angehörige seien oder der Person nahestehen.

„Als Mediziner lehne ich die Tötungshilfe zum vorzeitigen Beenden des Lebens ab“, betonte Prönnecke, der auch Vorsitzender der Akademie für Hospizarbeit und Palliativmedizin der niedersächsischen Ärztekammer ist. Es gebe auch den Weg der sogenannten palliativen Sedierung. Mediziner verstehen darunter meistens die Verabreichung starker Beruhigungsmittel, um einen künstlichen Schlaf herbeizuführen. Diese erhält ein schwer kranker Patient in der Regel auf eigenen Wunsch, wenn er sein Leiden als unerträglich empfindet.

Im Bundestag hatten 360 Abgeordnete für einen Gesetzentwurf gestimmt, der die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe stellt. 233 Parlamentarier lehnten das Gesetz ab, 9 enthielten sich.

Der Antrag der Gruppe um Kerstin Griese (SPD) und Michael Brand (CDU) soll Sterbehilfe-Organisationen wie dem Verein Sterbehilfe Deutschland des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch die Grundlage entziehen.

epd
„Ich bin überaus beeindruckt von der intensiven Bundestagsdebatte zur Regelung der Sterbebegleitung. Die Abgeordneten haben sachlich, ernsthaft und hoch engagiert das komplexe Thema der Sterbebegleitung und damit die weitgehend tabuisierten Themen Tod, Leid und Sterblichkeit diskutiert. Sie haben sich gegenseitig zugestanden, dass es keine einfachen und eindeutigen Lösungen gibt. Dieses Bewusstsein und diese Sensibilität für ein ethisches Thema sind für mich als solche schon ein wichtiges Ergebnis der Auseinandersetzung.
Insgesamt haben die letzten zwei Jahre unsere Gesellschaft in den Fragen eines verantwortlichen Umgangs mit dem Sterben deutlich vorangebracht. Ich begrüße die Entscheidung für das Verbot von Sterbehilfe-Organisationen als notwendigen Schritt. In der Sterbebegleitung insgesamt ist es jedoch nur ein Aspekt unter vielen. Nicht nur die Kirchen, sondern die Gesellschaft insgesamt müssen sich weiterhin um eine menschenwürdige Sterbebegleitung und die Entwicklung der Kriterien für die Gewissensentscheidungen der Ärzte und Angehörigen Sterbender kümmern.“
Landesbischof Ralf Meister

„Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“

Strafgesetzbuch Nummer 2017

An der Hand des Anderen

Zu einer außergewöhnlichen Veranstaltung wurde Wilhelm Helmers,  Superintendent des Kirchenkreises Bremervörde – Zeven,  eingeladen. Bundespräsident Joachim Gauck hatte im Rahmen des „Bellevue-Forums“ zu einer Diskussionsrunde zum Thema „Sterbende begleiten – Ehrenamtliches Engagement in der Hospiz – und Palliativversorgung“ gebeten.

Auf dem Podium diskutierten unter der Moderation von Dr. Jacqueline Boysen  Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Teresa Weißbach, Schauspielerin und ehrenamtliche Sterbebegleiterin, Dr. Anja Schneider, Vorstand Deutscher Hospiz – und Palliativverband, Franz Müntefering, Bundesminister a.D. und Prof. Peter Dabrock, Systematischer Theologe aus Erlangen.

Im Publikum saßen ca. 120 Gäste aus dem Bereich der Hospiz – und Palliativarbeit, die gemeinsam mit dem Bundespräsidenten die Diskussion verfolgten und eigene Erfahrungen eintrugen.

„Es war ein ganz besonderes Erlebnis, Bundespräsident Gauck zu begegnen und zugleich diese hochkarätige Veranstaltung zu erleben“, so Wilhelm Helmers. In Vorbereitung auf die in dieser Woche anstehende Entscheidung des Parlamentes zu Fragen der Sterbebegleitung hatten sich auch zahlreiche Bundestagsabgeordnete eingefunden, um sich zu informieren.

„Der Bundespräsident hob in seiner Eröffnungsansprache den besonderen Wert der haupt- und ehrenamtlichen Arbeit in diesem Bereich hervor“,  beschreibt Wilhelm Helmers seine Eindrücke und zitiert Joachim Gauck: „Die Humanität der Gesellschaft erweist sich darin, wie sie mit den Schwächsten umgeht“. Für Helmers und die Arbeit in Hospizen und der Palliativmedizin ist zudem ein Wort des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler maßgeblich: „Nicht durch die Hand eines anderen Menschen sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand eines anderen!“

Ambulante Hospizarbeit und die Stationären Hospize erfüllen in Kooperation mit den Palliativfachleuten an unterschiedlichen Orten und auf unterschiedliche Weise eine schwierige Aufgabe, die oft an die Grenzen der Belastbarkeit reicht. Viel öfter wird aber die Erfahrung gemacht, Sterbenden einen Teil der Angst zu nehmen, aus der sonst in vielen Fällen der Ruf nach Sterbehilfe erwächst.

Nach der Podiumsdiskussion und einem Gespräch im Plenum lud Gauck die Gäste  zu einem kleinen Empfang, bei dem intensiv weiterdiskutiert  und vielfältige Begegnungen stattfanden.

Sonja Domröse