Startseite Archiv Tagesthema vom 21. März 2015

Provozierend oder schon alltäglich?

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

„Das Hanns-Lilje-Forum will für Kirche und Gesellschaft vorandenken“, erklärte Landeskirchenamtspräsidentin Stephanie Springer zum Auftakt einer Podiumsdiskussion der evangelischen Hanns-Lilje-Stiftung in der Neustädter Hof- und Stadtkirche. Das Thema hierzu war gut gewählt: Im wahrsten Sinne des Wortes ging es um das Bild von Menschen mit Behinderung.

„Wir werden sehr häufig nur in unserer Behinderung wahrgenommen“, klagt Andrea Hammann, Beauftragte für Menschen mit Behinderung der Stadt Hannover, die selbst seit mehr als 20 Jahren im Rollstuhl sitzt. „Selten sehen uns andere einfach als Frau oder Mann.“

Für Viele seien Menschen mit Handicap so etwas wie ein Neutrum, kritisierte sie. Dies könne man etwa an der Aufteilung der Toiletten für Frauen, Männer und Behinderte sehen. Und in der Öffentlichkeit würden Menschen mit Behinderung normalerweise nur auf zwei Arten dargestellt: „Entweder ist alles ganz traurig oder wir können irgendetwas supertoll“, erläuterte Hammann.

Völlig anders darstellen konnten sich Bewohner des Annastifts mit verschiedenen Behinderungen nun in einem Projekt der in Mailand lebenden Fotokünstlerin Julia Krahn. Auch Krahn war bei der Debatte zu Gast.

Ausgehend von sprachlichen Bildern des biblischen Hohelied Salomos entwickelten zwölf Annastiftbewohner gemeinsam mit der Künstlerin Posen und Motive, in denen sie sich mit biblisch bedeutsamen Requisiten ablichten ließen. Dabei waren die Fotomodelle nackt. Für Julia Krahn ist das aber nichts Besonders. Es gehört zur Arbeitsweise der aus Aachen stammenden Künstlerin.

„Sich ausziehen heißt nicht nackt sein, sondern seine Seele anzuschauen“, erläuterte Krahn bei der Präsentation einiger der Bilder. Bislang habe sie jedoch nur selbst oder ihre Eltern nackt fotografiert. Mit professionellen Models arbeitet sie nicht mehr. Von den rund 160 Bewohnern des Annastifts entschieden sich zwölf mitzumachen. Und sie konnten entscheiden, was sie zeigen und welche Körperteile sie nur verhüllt oder bemalt darstellen wollten. „Es geht einfach darum, ob man sich auf diese Weise mit sich selbst auseinandersetzen will.“

Diejenigen, die es versuchten, waren danach begeistert, berichtete Krahn. „Endlich darf ich mich auch mal zeigen“, hätten die Fotomodelle mit Behinderung gesagt. „Und alle haben hingeguckt.“ Genau diese Erfahrung machten sie nur sehr selten.

Andrea Hammann, die vor fünfzehn Jahren erste hauptamtliche Behindertenbeauftragte der Stadt wurde, findet die Ausstellung gelungen. „Die Bilder strahlen etwas Positives aus.“ Es müsse auch nicht hervorgehoben werden, dass dort behinderte Menschen fotografiert wurden. Auf den ersten Blick sei auf vielen Fotos nicht mal eine Behinderung zu erkennen.

Hammann hofft, dass die Bilder nicht als Provokation wahrgenommen werden. Vielmehr sollten sie dazu beitragen, das Leben Behinderter selbstverständlicher zu machen. In unserer Gesellschaft mangele es noch daran, Menschen mit Handicap in ihrer alltäglichen Normalität zu sehen. Die Schau mit dem Titel „Schönerheit. Das Hohelied der Liebe“ kann daran vielleicht etwas ändern.

An bestimmte Bilder gewöhnen sich die Menschen mit der Zeit, meint Fotokünstlerin Krahn. Sie hofft, dass solche Motive in fünf bis zehn Jahren gesellschaftlich als „ganz normal“ akzeptiert seien. Dann würden sich Betrachter nicht mehr so sehr auf das Handicap fokussieren. „In den Bildern geht es ja um den Menschen, nicht um die Behinderung.“

Stefan Korinth, Evangelische Zeitung

„Liebe auf den ersten Klick“

Mit einer Liebesgeschichte zwischen einer Rollstuhlfahrerin und einem Skater haben Schüler aus Georgsmarienhütte bei Osnabrück den Hauptpreis beim Kurzfilmwettbewerb „ganz schön anders“ gewonnen. Die Zehntklässler des Gymnasiums Oesede überzeugten die Jury mit dem Film „Liebe auf den ersten Klick“, teilte das Wettbewerbsbüro mit. Zur Belohnung dürfen sie nach Berlin reisen und den Filmpark Babelsberg besuchen.

Der inklusive Filmwettbewerb für Schüler aller Schulformen wurde niedersachsenweit zum zweiten Mal ausgeschrieben. Er thematisiert die gleichberechtigte Teilhabe Behinderter und Nichtbehinderter an der Gesellschaft.

Rund 170 Filmteams aus Förder- und Regelschulen zwischen Nordsee und Harz haben sich den Angaben zufolge beteiligt. 85 Kurzfilme von behinderten und nicht-behinderten Jugendlichen standen der Jury zur Auswahl. Zehn Filme wurden für den niedersächsischen Kurzfilmpreis nominiert. Spielfilme von Gymnasiasten aus Wolfsburg und Förderschülern aus Oldenburg belegten den zweiten und dritten Platz. Ein Rap-Video aus Göttingen erhielt den Musikvideopreis.

(epd)

Neue Kommunikation mit behinderten Menschen einüben

Der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle hat zu neuen Gesprächsformen mit Menschen mit Behinderungen aufgerufen. „Wir müssen lernen, direkt mit den Betroffenen zu kommunizieren, auch wenn das manchmal bedeutet, den etwas anstrengenderen Weg zu gehen,“ sagte
der katholische Theologe. Beim „Tag der Caritas - Behindertenhilfe in Niedersachsen“ diskutierten rund 150 Teilnehmer über die Selbstbestimmung behinderter Menschen.

Der Direktor des Diözesen-Caritasverbandes Hildesheim, Hans-Jürgen Marcus, begrüßte, dass die einst „rambohaft geführten Diskussionen“ über Themen wie Inklusion vorbei seien. „Heute schauen wir von ihren Ressourcen aus auf die Menschen mit Behinderung.“ Deshalb stelle sich im Alltag von professionellem Personal immer stärker die Frage, wie Menschen mit Behinderung ihr Leben stärker selbst planen und bestimmen könnten.

epd