Pastor Matthias Viertel über die Philisophie des Kaufens

Evangelische Zeitung: Herr Viertel, Ihr neues Buch beschäftigt sich mit dem Thema Shopping und hat den Untertitel „So viel du brauchst“. Jenes Bibelzitat ist auch die Losung für den Hamburger Kirchentag. Sind Fragen nach „richtigem“, verantwortungsvollem Wirtschaften derzeit besonders drängend?
Viertel: Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht darauf hingewiesen werden, dass die Konsumbereitschaft des Volkes Wirtschaftswachstum bedeutet. Mangelnde Kauffreude bedrohe demgegenüber Arbeitsplätze. Insofern könnte tatsächlich der Eindruck entstehen, ausgiebiges Shoppen sei geradezu eine Bürgerpflicht. Und wo die Bedürfnisse befriedigt sind, werden eben neue konstruiert. Im Unterschied zum biblischen Motto ist unser Problem also weniger der Mangel, als vielmehr der Überfluss. Im Grunde genommen müssten wir uns jeden Tag die Frage stellen, ob wir alles das, was in den Einkaufswagen wandert, wirklich brauchen.
- Sie erwähnen in Ihrem Buch eine Schrift des Reformators Martin Luther, in der er die persönliche Komponente bei einer Kaufentscheidung betonte. Seit Luthers Zeiten ist die Welt jedoch nicht übersichtlicher geworden, ganz im Gegenteil. Heutzutage erleben wir eine in immer stärkerem Maße verflochtene globale Wirtschaft. Als Konsument fühlt man sich nicht selten ohnmächtig gegenüber Handel und Werbeindustrie. Sie laden Ihre Leser jetzt dazu ein, sich Gedanken über die persönlichen Bedürfnisse zu machen. Wo soll ich da anfangen?
Es ist wohl ein Vorurteil, auf die „Unübersichtlichkeit“ der globalisierten Welt zu verweisen, um damit der Bredouille einer ethisch verantwortungsbewussten Handlungsweise zu entkommen. Die Welt ist nicht etwa komplexer geworden, sie war schon immer sehr komplex, nur ist heute die Verflechtung des Weltgeschehens offensichtlicher. Informationen sind überall und jederzeit verfügbar. Im Unterschied zur Gesellschaft der Zeit Martin Luthers kennen wir die Zusammenhänge besser und haben vielfältige Möglichkeiten, auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu reagieren. Gerade diese Macht des Konsumenten fordert uns allerdings auch heraus, diese Alternativen wahrzunehmen und zu nutzen.