Startseite Archiv Nachricht vom 08. November 2017

„Digitalisierung gefährdet die Demokratie“ - Podiumsdiskussion zu Demokratie und Zusammenhalt

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Bissendorf/Wedemark. „Analoge Gesprächsformate sind heute so wichtig, wie schon lange nicht mehr.“ Mit diesem Eingangsstatement erklärte Professor Harald Welzer, Sozialpsychologe und Direktor der Stiftung FUTURZWEI, warum er den weiten Weg von Wien in die Wedemark und zurück auf sich nahm, um bei einer Veranstaltung des Kirchenkreises Burgwedel-Langenhagen zu sprechen. „Auf der Suche nach Zusammenhalt“ lautete das Thema der Podiumsdiskussion im Bürgerhaus Bissendorf, für die Landessuperintendentin Petra Bahr und Ulrika Engler, Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung, gemeinsam mit Harald Welzer die Impulse gaben. Mehr als 150 Gäste aus den vier Regionen des Kirchenkreises und aus Hannover waren der Einladung gefolgt und brachten sich engagiert in die Diskussion ein.

„Es gibt ein riesiges Bedürfnis zu klären, welche Gesellschaft wir sein wollen“, stellte Harald Welzer fest. In Zeiten öffentlicher Dauererregung sei es ein wertvoller Akt, miteinander zu sprechen und sich zu vergewissern, dass man nicht alleine ist: „Wir brauchen analoge Situationen, um uns darüber zu verständigen, dass unsere Gesellschaft ein anerkannter Wert ist und dass sie aus vielen besteht.“ Eine Gefahr sieht der Sozialpsychologe in der zunehmenden Ausbreitung der digitalen Kommunikation: „Die Digitalisierung führt zu einer zunehmenden Vereinzelung und sie ist gefährlich, weil sie es ermöglicht, anonym und aus dem Hinterhalt demokratiefeindliche Positionen zu verbreiten.“

„Vor dem Hintergrund der Migration, die den Sozialraum natürlich nicht nur zum Guten verändert, müssen wir lernen, mit Zwiespälten zu leben“, betonte Landessuperintendentin Petra Bahr. „Wie lernen wir auszuhalten, dass in unserer engsten Umgebung jemand eine ganz andere Meinung hat als wir?“ Um dieses Aushalten anderer Meinungen zu üben, fehlten, anders als in früheren Jahren, Räume zur Diskussion, wurde an dieser Stelle aus dem Publikum angemerkt. Insa Becker-Wook, die als Vertreterin der Initiative Offene Gesellschaft Langenhagen mitdiskutierte, antwortete mit einer Einladung: „Kommen Sie zu uns – wir bieten genau diesen Raum, in dem wir unsere Positionen
diskutieren und uns in unserem Eintreten für Demokratie und Zusammenhalt gegenseitig stärken.“ Auch Regina Gresbrandt, als Initiatorin des Vereins Interkulturelles Miteinander in Burgwedel auf dem Podium, schloss sich aufgrund jahrelanger Erfahrung dem Plädoyer für das direkte Gespräch an: „Wir brauchen immer wieder Gelegenheiten zum Zusammenkommen.“

Eine Lanze für die Digitalisierung brach Ulrika Engler: „Demokratie braucht politische Bildung und ich sehe große Chancen darin, auf digitalen Kanälen insbesondere junge Menschen mit unseren Projekten, etwa zum Thema Vielfalt, zu erreichen.“ Analog und digital lasse sich nicht auseinander dividieren, so die Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung – auf beiden Kanälen gebe es viel und vielfältiges Engagement für die Demokratie. Auch die Zahl von mehr als 600.000 Vereinen in Deutschland zeige, wie sehr sich Menschen in tatsächlicher Gemeinschaft engagieren.

„Demokratie ist niemals von sich aus stabil. Sie hält nur, wenn genügend Menschen für sie eintreten“, machte Harald Welzer abschließend klar. Es gebe die gesellschaftliche Großerzählung „man kann ja doch nichts machen“ – widerlegt werde sie tagtäglich von zahllosen Menschen, die Unglaubliches machen. So auch im Spätsommer 2015: „Da haben Menschen in nie für möglich gehaltener Größenordnung Verantwortung übernommen – das war ein Zeichen für eine starke Demokratie. Irgendwann raunte Herr Seehofer dann davon, dass die Stimmung kippt.“ Die Weiterverbreitung dieser prognostizierten Apokalypse in den Medien – Petra Bahr riet in diesem Zusammenhang zu einer klaren Unterscheidung zwischen Apokalypse und Analyse – habe die zahllosen Helferinnen und Helfer in der Flüchtlingsarbeit zu einer „beschwiegenen“ Mehrheit gemacht. „Wir müssen das zu Gehör bringen“, so Harald Welzer.

Entgegen dem Ratschlag ihrer Großmutter, beim Essen nie über Religion oder Politik zu sprechen, setzte Petra Bahr diesen Appell in eine knappe Handlungsempfehlung um: „Reden wir über Politik und Religion – am besten beim Essen!“

Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen