Startseite Archiv Nachricht vom 01. September 2017

Ein Chor aus Hunderten von Stimmspuren - Musikprojekt bringt mit Klanginstallation ungewöhnliche Gesänge in die Lüneburger Michaeliskirche

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Lüneburg/Hildesheim. Etwas zögernd tritt Doris Sträter an das Holzpult im Seitenschiff der Lüneburger Michaeliskirche heran und singt in das Mikrofon, das dort installiert ist. "Versuchen Sie es noch einmal. Singen Sie beherzt und gleichmäßig ihren Lieblingston", leuchtet daraufhin eine Schrift an dem Pult auf. "Ich war zu leise", sagt Sträter. Angefeuert von Ehemann Hans-Jürgen stimmt sie nun einen kräftigeren Ton an. Und diesmal hört sie kurz darauf, wie ihre Stimme nacheinander aus acht Lautsprechern durch die gotische Hallenkirche schallt.

Wer wie die Sträters aus Ostfriesland in den kommenden Wochen die Kirche in der Lüneburger Altstadt besichtigt, wird von eigentümlichen Gesängen empfangen. Frauenstimmen und Männerstimmen überlagern einander aus verschiedenen Richtungen kommend. Dazwischen singt ab und zu ein Kind "Aaaaooh" und "Hmmm". Keine Melodie ist erkennbar, und doch hört sich der Klangteppich harmonisch an. "Stimmspuren" nennt sich die musikalische Installation, die Ulf Pankoke vom Modellprojekt "Vision Kirchenmusik" der hannoverschen Landeskirche gemeinsam mit einem Programmierer gebaut hat.

Ein Computer zeichnet die Töne auf, die Besucher in das Mikrofon singen. Nach einem Zufallsprinzip spielt er sie wieder ab - bis zu acht Stimmen können sich dabei überlagern. Immer wieder wechseln die Klänge - je mehr Menschen mitmachen, desto vielfältiger wird der Gesang. "Hunderte können so im Chor singen, obwohl sie nicht gemeinsam in der Kirche sind", sagt Pankoke. "Dieser Raum hat schon so viele Stimmen erlebt. Die wollen wir hörbar machen."

Die Lüneburger Kirche, deren älteste Teile aus dem Jahr 1376 stammen, bietet eine besondere Kulisse für die sphärisch anmutenden Klänge. Sie beeindruckt durch mächtige Säulen, die infolge von Senkungsschäden durch den Salzabbau früherer Zeiten aus dem Lot geraten sind. In der Kirche hat schon Johann Sebastian Bach (1685-1750) im Mettenchor gesungen.

Unter dem Motto "Michaelis singt" lädt die evangelische Gemeinde noch bis zum 24. September zu Festwochen voller Musik ein. Konzerte, Gottesdienste und besondere Aktionen fordern neben der computergesteuerten Klanginstallation zum Mitmachen auf. Anlass sind die Feiern zum 500. Jubiläum der Reformation, erläutert Pastor Stephan Jacob. Für Martin Luther seien Gesang und Musik auch Kommunikationsmittel seiner Zeit gewesen. "Nicht selten protestierten die Menschen mit Liedern von Luther gegen eine Kirche, in der sie oft nicht verstanden, worum es ging." Auch in Lüneburg wurden auf Latein gehaltene Gottesdienste durch Lutherlieder gestört.

Derartige Belästigungen sind durch die "Stimmspuren" nicht zu befürchten. Während der Gottesdienste, Konzerte, Trauerfeiern oder Hochzeiten wird die Gesangsschleife abgestellt. Ansonsten läuft sie die ganzen Festwochen lang zu den Öffnungszeiten der Kirche. Die Ideenschmiede "Vision Kirchenmusik" in Hildesheim organisiert seit 2014 besondere Konzertformate, Gottesdienste und Workshops. Die Musiker haben etwa Chöre in Wohnzimmern auftreten lassen oder waren mit einem mobilen Glockenturm unterwegs, um mit ungewöhnlichen Formaten Kirchenmusik populärer zu machen.

Pankoke würde später gern auch in einer anderen niedersächsischen Kirche die Installation zum Hören aufbauen, die in Lüneburg ihre Premiere hat. Am Ende könne der Computer sogar analysieren, welche Tonart die meisten Besucher angestimmt hätten, sagt er. "Vielleicht entspricht sie ja der besonderen Stimmung dieser Kirche."

epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen

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