Startseite Archiv Nachricht vom 08. März 2017

Jazz und die Rolle der Improvisation im Gottesdienst

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

Hannover/Leipzig. Mit den Aufführungen der „Mass“ (Messe) des norwegischen Jazzpianisten Tord Gustavsen vor begeisterten Auditorien in Leipzig und Dresden fand am Sonntag das 21. Liturgiewissenschaftliche Fachgespräch des Liturgiewissenschaftlichen Instituts der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) seinen Abschluss.

Vier Tage lang hatten sich die rund 90 Teilnehmenden der öffentlichen, international besetzten Tagung in Leipzig unter der Überschrift „Improvisation und die Klangfarben des Evangelischen Gottesdienstes“ mit den Möglichkeiten des Zusammenspiels von Jazz und Gottesdienst in Theorie und Praxis beschäftigt.

Die Impulse dazu setzten Fachvorträge ausgewiesener Experten aus theologischer Forschung, gemeindlicher und liturgischer Praxis und Jazz aus dem In- und Ausland, unter ihnen Carol Harrison (Oxford University), Julia Koll (Evangelische Akademie Loccum), Hans-Martin Gutmann (Hamburg), Gotthard Fermor (Universität Bonn) und Jeremy Begbie (Cambridge University, Duke University).

Improvisation setze profunde Kenntnis von Strukturen und den souveränen Umgang mit diesen voraus, in der Musik ebenso wie in der Liturgie – darin waren sich die Vortragenden einig, die je aus ihrer Perspektive das Verhältnis von Jazz und Theologie, von Improvisation und Liturgie beleuchtet haben.

„Wie kann musikalische Improvisation zu einem tieferen Verständnis vom Wirken des Heiligen Geistes beitragen?“ lautete die Leitfrage von Jeremy Begbies Vortrag „The Holy Spirit as Improviser“. Improvisation beruhe immer auf Zusammenspiel von „constraint and contingency“ (Zwang und Kontingenz), so der englische Theologe und klassische Pianist, und machte dies am Konzertflügel exemplarisch hörbar. Improvisation sei eine „Kunst des Augenblicks“, deren zentrales Element die Überraschung, das Staunen sei und bei deren Ausübung Neues aus dem Wechselspiel von „order, disorder and non-order“ entstehe.

„Jazz-Improvisation stellt eine musikalische Bereicherung unserer liturgischen Praxis dar, die uns inspiriert, über liturgische Haltungen nachzudenken“, sagte Privatdozentin Julia Koll von der Evangelischen Akademie Loccum in ihrem Vortrag „Die rituelle Dynamik des Jazz“. Auf dem Weg zu einer „gottesdienstlichen Atmosphärenkunde“ fragte sie danach, wie eine dem Jazz entlehnte Haltung das Verhältnis von Handelnden und Beteiligten, von Liturgen und Gemeinde verändere, wie die musiksprachlichen und textlichen Teile im Gottesdienst zusammenhingen und welchen Beitrag Jazz-Gottesdienste für die Zukunft des gottesdienstlichen Lebens leiten könnten.

Auch Hans-Martin Gutmann, emeritierter Professor für Praktische Theologie und Jazzpianist aus Hamburg, fragte nach der „soziokulturellen Bedeutung von Jazz für die Kirche“ und betonte Improvisation und Interaktion als Kernelemente des Jazz. Beim „Doing Jazz“ gehe es nicht um intellektuelle Einsichten, sondern um Intuition. Dabei bestehe aber Improvisation als „heilsame Unterbrechung“ gerade nicht darin, Ordnungen aufzuheben, sondern im Rückgriff auf die Tradition zu gestalten. Mit stetem Bezug zu den Kirchenvätern und zu Martin Luther beschreibt er Jazz als Grenzüberschreitungen in den Kategorien Raum, Zeit und Körper.

Jazz ermöglicht und erfordert „flow und communitas“ im gegenseitigen Aufeinanderhören –  diesen Gedanken griff Professor Gotthard Fermor aus Bonn auf. In seinem Beitrag „Die Potenziale des Jazz für eine Theologie der Musik“ vertrat er die These, dass „die musikalischen Strukturen im Jazz religionsproduktiv und religionserzeugend wirken“ können. „Die Musik hat als Musik das Potenzial, über sich hinauszuweisen“, sagte er in seinem religions- und kulturgeschichtlichen Beitrag, der auf eine trinitarische Darstellung einer Theologie der Musik zielte. Ohne theologische Grundlegung gehe es nicht, so Fermor: „Unsere Liturgie wird nur so viel vom religiösen Potenzial des Jazz lernen, wie vorher unsere Theologie davon gelernt hat.“

„Am Prinzip der Improvisation führt kein Weg vorbei“, resümierte Christian Lehnert vom Liturgiewissenschaftlichen Institut als Ergebnis der Tagung. Die Erträge des Fachgesprächs sollen in einer Publikation dokumentiert werden, die sowohl die Vorträge als auch Tondokumente enthält.

Pressestelle VELKD