Startseite Archiv Nachricht vom 24. Februar 2017

„Flugblatt-Mobbing“ war auch vor 500 Jahren nicht fein

Religionspädagogischer Nachmittag zur Reformation

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Engelbostel. Natürlich ist die Geschichte von den dröhnenden Hammerschlägen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nicht verbürgt, und natürlich ist es ebenso wahrscheinlich, dass Martin Luther schlicht das Schwarze Brett der Universität nutzte, um seine Thesen zu veröffentlichen. Dennoch: „Die Geschichte von den Hammerschlägen pointiert den Charakter des Reformators – egal, wie sie sich genau zugetragen hat“, sagt Pastorin Dr. Simone Liedtke. „Sie zeigt uns Luther als eine charismatische Person, die den Zeitgeist auf den Punkt gebracht hat.“


Die Referentin für die Reformationsdekade im Haus kirchlicher Dienste in Hannover hielt jetzt das Impulsreferat beim Religionspädagogischen Nachmittag des Kirchenkreises Burgwedel-Langenhagen – und sie tat dies ebenso amüsant wie fundiert. Den rund 25 Lehrerinnen und Lehrern, Diakoninnen und Diakonen, die zu der Veranstaltung nach Engelbostel ins Gemeindehaus gekommen waren, empfahl sie, die Reformation nicht auf ihren bekanntesten Protagonisten Martin Luther einzuengen: „Die Reformation wurde durch den Mut der Gesellschaft zu dem, was wir in diesem Jahr feiern können. Viele andere kluge Köpfe gehörten dazu – Frauen wie Männer."


Deutlich zeichnete Simone Liedtke auch die für manchen überraschende Parallele zwischen der reformatorischen und der heutigen Gesellschaft nach, die sie an den Stichworten „Medienrevolution“ und „Verunsicherung“ festmachte: Ähnlich wie heute seien damals größere Teile der Bevölkerung verunsichert gewesen, sowohl durch das Infragestellen der katholischen Glaubenspraxis als auch durch die ganz neue Informationsvielfalt. Vergleichbar mit Social Media heute habe es im ausgehenden Mittelalter durch den Buchdruck eine Medienrevolution gegeben, die, und auch das sei vergleichbar, ebenso segensreich wie missbrauchsanfällig war. „Sich auf Flugblättern gegenseitig als ‚fette Sau‘ zu bezeichnen, gehörte auch damals nicht zum guten Ton“, stellte Simone Liedtke fest.


Mit Blick auf mehr oder weniger gelungene Merchandise-Produkte – vom Luther-Keks über die Luther-Socke („Hier stehe ich …“) bis zum Erfolgsmodell Playmobil-Luther – rückte Simone Liedtke
zum Ende ihres Referates wieder das in den Blick, was die Reformation eigentlich ausmacht: „Sie war in erster Linie eine theologische Wende, die dazu geführt hat, dass das Ich zum Subjekt wurde, zu sich selbst finden konnte.“


Das Dilemma der neuzeitlichen gottlosen Welt thematisierte Matthias Hülsmann, Referent am RPI Loccum, in einem anschließenden Workshop: „Als es Gott noch gab, gab es mit ihm auch einen Ort, an dem ich Gnade erfahren habe.“ Heute sei ein solcher Ort schwer zu finden – in der Schule ebenso wie im Beruf und am allerwenigsten bei sich selbst. „Der neuzeitliche Mensch steht in einem Dauertribunal, in dem er selbst der Angeklagte, der Ankläger und der Richter ist“, zitierte Hülsmann den Philosophen Odo Marquard. Angesichts weit verbreiteter kaum erfüllbarer Anforderungen an sich selbst – nachweisbar schon bei zwölf- und 13-jährigen Jugendlichen – stellte Hülsmann die Frage, ob dies nicht ein Anknüpfungspunkt für die Vermittlung reformatorischer Theologie sein könne.


Elke Seidlitz, Diakonin in Burgwedel, beantwortete diese Frage mit einem klaren Ja: Immer wieder erlebe sie, wie aufnahmebereit Konfirmandinnen und Konfirmanden für den Gedanken einer bedingungslosen Annahme seien. Hilfreich dabei ist sicherlich, dass sie ihren Konfirmandenunterricht längst von seitenlangen Texten entrümpelt hat und stattdessen „Orte der Gnade“ schafft – etwa bei den Frühgebeten in der St.-Petri-Kirche.

Öffentlichkeitsarbeit Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen