Startseite Archiv Nachricht vom 12. Oktober 2016

Musikwissenschaftler: Luthers Einfluss auf die Kirchenmusik wird überschätzt

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Hamburg/Stade (epd). Wenn heute Lieder den evangelisch-lutherischen Gottesdienst prägen, so geht dies nach Einschätzung des Freiburger Musikwissenschaftlers Konrad Küster nicht direkt auf das Wirken Martin Luthers zurück. Wesentlich beeinflusst sei die lutherische Kirchenmusik vor allem durch norddeutsche Orgelmusik und italienische Musik, sagte Küster am Dienstag bei der Präsentation seiner Forschungsergebnisse in Hamburg. In seinem Werk "Musik im Namen Luthers" hat Küster zum Reformationsjubiläum 2017 die 500-jährige Kulturgeschichte der evangelischen Kirchenmusik dargestellt.

Luther habe für die neue Form des Gottesdienstes keine Veränderung der musikalischen Gestaltung vorgesehen, betonte Küster. Überliefert ist sein Zitat von 1523: "Das gesenge yn den sontags messen und vesper laß man bleyben, den sie sind fast gutt." Gemeindelieder seien zu Luthers Zeit gar nicht vorgesehen gewesen, doch habe man die Gottesdienstbesucher angehalten, die Psalmgesänge nach besten Kräften mitzusingen. Das populäre Reformationslied "Ein feste Burg" sei ein solcher Psalmgesang, der aber auch zu Hause gesungen werden sollte. Ein Lied wie "Vom Himmel hoch" dagegen sei damals noch ein Kinderlied gewesen.

Schon vor Luther hatte sich die norddeutsche Orgelmusik vor allem an den Küsten im heutigen Niedersachsen und Schleswig-Holstein entwickelt. Für die Entfaltung dieser Musiktradition nach der Reformation war es aus Sicht Küsters ein Segen, dass der norddeutsche Reformator Johannes Bugenhagen keine Bedenken dagegen hatte. Dadurch habe sie eine kreative Dynamik entwickelt und die Kirchenmusik in ganz Deutschland nachhaltig beeinflusst. Eine solch prägende Kraft habe sich dagegen in Thüringen oder Sachsen aufgrund von kirchlichen Vorbehalten gegen die Orgelmusik nicht entwickeln können.

Ebenso prägend für die lutherische Kirchenmusik war laut Küster im 17. Jahrhundert die italienische Oper mit ihren eingängigen Melodien. Es werde zuweilen vergessen, dass die lutherische Kirchenmusik maßgeblich von der Musik aus Ländern der Gegenreformation beeinflusst worden sei.

Das evangelische Gesangbuch für den Gottesdienst fand erst im 18. Jahrhundert Verbreitung. Es habe sich dabei vor allem um ein Buch mit Texten gehandelt, die im Zuge der Aufklärung erneuert worden waren, sagte Küster. Die Melodien sei ja bekannt gewesen. Gegen die neuen aufklärerischen Texte habe es auch Widerstand gegeben. In Oldenburg etwa sei das Gesangbuch nur mit Waffengewalt der Soldaten durchgesetzt worden, und im nordfriesischen Eiderstedt hätten sich die Gemeinden lange Zeit erfolgreich dagegen gewehrt, dass überhaupt ein Gesangbuch eingeführt wurde.

Konrad Küster, Musik im Namen Luthers, Kulturtradition seit der Reformation, Bärenreiter-Verlag, Verlag J.B. Metzler 2016, 319 Seiten, 34,95 Euro, ISBN 978-3-7618-2381-1

Evangelischer Pressedienst (epd), Landesdienst Niedersachsen-Bremen