Startseite Archiv Nachricht vom 19. Mai 2016

Spät aufgedeckter Missbrauchsfall in Rinteln

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Rinteln/Kr. Schaumburg (epd). Ein 50 Jahre zurückliegender Fall von sexuellem Missbrauch erschüttert den evangelischen Kirchenkreis Grafschaft Schaumburg rund um Rinteln. Der frühere Leiter des Kirchenkreises, der 1990 verstorbene Superintendent Kurt Eckels, soll 1965 im Pfarrhaus einen Konfirmanden "durch einen körperlichen Übergriff" missbraucht haben, wie der Kirchenkreis am Freitag in Rinteln mitteilte. Ein heute etwa 65-jähriger Mann hatte der Kirche vor rund neun Monaten kurz vor der Feier der Goldenen Konfirmation davon berichtet. Damit ist erstmals seit 1945 in der hannoverschen Landeskirche ein leitender Theologe in den Verdacht des sexuellen Missbrauchs geraten, erläuterte Oberlandeskirchenrat Rainer Mainusch.

"Die Integrität der betroffenen Person sowie die Schilderung des Vorfalls lassen für uns keinen Zweifel daran, dass dieser Missbrauch so geschehen ist", sagte der heutige Superintendent Andreas Kühne-Glaser. Das damals 14-jährige Opfer konnte sich dem Übergriff durch Flucht entziehen. Der Kirchenkreis versandte am Donnerstag rund 300 Briefe an Männer und Frauen, die zwischen 1965 und 1976 in Rinteln konfirmiert wurden. Darin bittet Kühne-Glaser die Empfänger, sich zu melden, falls sie Ähnliches erlebt haben. Es bestehe der Verdacht, "dass der verantwortliche Geistliche auch andere Schutzbefohlene sexuell missbraucht oder zu missbrauchen versucht hat".

Der damalige Superintendent hatte den Konfirmanden nach dessen heutigen Schilderungen unter einem Vorwand ins Pfarramt bestellt und dann gezielt von innen die Tür verschlossen. Der Junge habe damals nur einer einzigen Person seines Vertrauens von dem Erlebten erzählt, sagte Kühne-Glaser. Gemeinsam hätten sie entschieden, weder die Eltern noch die Öffentlichkeit zu informieren. "Sie trauten sich nicht zu, im Rinteln der 1960er-Jahre den zu erwartenden Skandal durchzustehen."

Der damalige Konfirmand wurde nach seiner Flucht nicht mehr von dem Geistlichen belästigt. Er beanspruche heute keine Entschädigung für das entstandene Leid, erläuterte Kühne-Glaser. Die Goldene Konfirmation sei wohl ein Impuls gewesen, um das belastende Ereignis endlich publik zu machen, betonte der Superintendent: "Wenn man so etwas erlebt hat, vergisst man das nicht."

Die Landeskirche hatte 2012 nach dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche eine Kommission für die Opfer sexualisierter Gewalt eingerichtet. Bislang seien etwa 90 Fälle aus der Zeit von 1946 bis heute bekanntgeworden, überwiegend aus dem Bereich der Heimerziehung in der Nachkriegszeit, erläuterte Mainusch. In weniger als zehn Fällen seien dabei Pastoren die mutmaßlichen Täter gewesen, in weiteren Einzelfällen auch Diakone, Sozialpädagogen oder weitere haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter. Laut Mainusch informiert die Landeskirche heute unverzüglich die Staatsanwaltschaft, wenn ein Missbrauchsfall bekannt wird. In der Regel werden die mutmaßlichen Täter dann sofort von Dienst suspendiert. Werden sie rechtskräftig verurteilt, droht ihnen die Amtsenthebung. 

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