Startseite Archiv Tagesthema vom 08. August 2018

Der erste große Schritt - Der Schulanfang ist für viele Familien ein wichtiges Datum

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Die Lehrer, neue Klassenkameraden, ein fremdes Gebäude - der Schulanfang ist ein Tag mit vielen Unbekannten. Damit der Start gut gelingt, begleiten viele Eltern ihre Kinder zum Schulstart und oft wird groß gefeiert.

Jarne ist aufgeregt. An diesem Sonnabend hat der Sechsjährige in Engelbostel bei Hannover seinen ersten Schultag. Allmählich wird ihm klar: Das ist ein besonderer Tag. "Ihm war bis vor kurzem gar nicht bewusst, dass wir dann ein Fest geben werden und alle dabei ihn feiern", sagt seine Mutter Nicole Weihe. Eltern, Großeltern, Paten, Onkel und Tanten wollen ihn begleiten, erst in die Kirche, dann zur Schule. Jarne ist das einzige Kind der Weihes. Vielleicht sei sein Schritt in einen neuen Lebensabschnitt für sie auch deshalb so wichtig, sagt seine Mutter.

Rund 67.000 Erstklässler werden in diesem Sommer Niedersachsen eingeschult. In Bremen sind es knapp 4.600. Für Familien ist das ein einschneidendes Datum, sagt die Lüneburger Entwicklungspsychologin Maria von Salisch. "An diesem Tag geht es darum, das Kind mit ganz viel Zuversicht auszustatten, so dass es die ersten Hürden, die unweigerlich kommen, selbst nehmen kann", erläutert die Professorin an der Leuphana Universität. Die Lehrerin, die neuen Klassenkameraden, das fremde Gebäude - der Start in die Schule sei ein Tag mit vielen Unbekannten. "Das Kind und seinen Schuleintritt zu feiern, trägt sicher dazu bei, ein gutes Polster an Selbstvertrauen aufzubauen.

Auch die Leiterin der Bildungsabteilung der hannoverschen Landeskirche, Kerstin Gäfgen-Track, bekräftigt: "Ganz wichtig ist, das Kind immer eine positive Einstellung spüren zu lassen, auch wenn mal was nicht klappt." Kinder sollten sich in der Schule von Anfang an willkommen fühlen. "Dazu leisten auch die vielen liebevoll vorbereiteten Einschulungsgottesdienste einen wichtigen Beitrag."

Die niedersächsische Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Laura Poth, rät allerdings dazu, den Einschulungstag nicht überzubewerten. Die Kinder und ihre Eltern müssten schließlich dauerhaft motiviert und einbezogen werden, sagt sie. Auch bei den Geschenken in der Schultüte warnt Poth vor zu großen Erwartungshaltungen. Teures dürfe nicht zum Normalfall werden. "Das würde finanzielle schwachen Familien noch mehr Probleme bereiten."

Wenn Elinor (9) an ihren ersten Schultag zurückdenkt, fallen auch ihr die Geschenke ein. Und sie sagt: "Ich war sehr schüchtern." Jetzt kommt sie in die vierte Klasse und probt in Engelbostel mit elf Mitschülerinnen und Mitschülern für den ökumenischen Gottesdienst zum Schulanfang. Dabei wollen die "Großen" in der Kirche gemeinsam mit Pastor Rainer Müller-Jödicke die "Kleinen" begrüßen und ihnen Mut machen. "Ich hab mich dann schnell mit vielen angefreundet", berichtet die Neunjährige von ihren eigenen Erfahrungen.

Bei der Probe für den Gottesdienst aber hat sie ein wenig Lampenfieber und fragt: "Müssen wir irgendetwas Besonderes anziehen?" Auch der hannoversche Landesbischof Ralf Meister will die Feier in Engelbostel stellvertretend für die rund 1.200 Gemeinden in der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland besuchen. Im Gepäck hat er dabei kleine Magnettafeln, mit denen die Landeskirche in diesem Jahr insgesamt 36.000 Kinder in den Schulanfangsgottesdiensten beschenkt.

Pastor Müller-Jödicke erwartet eine volle Kirche. "Das ist nach Weihnachten der wichtigste Gottesdienst, weil wir alle erreichen", sagt er. "Da kommen auch die Konfessionslosen." Während in der Kirche wohl noch alle Platz finden werden, wird es in der Schule in Engelbostel eng. Schulleiterin Stefanie Haller hat für die Aula mit 192 Plätzen Eintrittskarten verteilen lassen. Immerhin kommen 55 Mädchen und Jungen neu in ihre Schule.

Zunehmend lebten Kinder auch in Patchworkfamilien, sagt Haller. Damit steige die Zahl der Angehörigen. "Eine Mutter sagte mir, wir haben jetzt acht Großeltern." Die Schulleiterin hat aber auch einen Trend zurück zu etwas kleineren Festen im engeren Familien- und Freundeskreis beobachtet. Die Weihes jedenfalls wollen im eigenen Garten feiern. "Da hat Jarne mehr Spaß als in einem Restaurant", sagt seine Mutter. "Die Patentante sorgt für die Schultüte und wir werden ihm einen besonderen Tag mit seinen Eltern schenken."

epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen

"Es muss nicht alles perfekt sein"

Dr. Kerstin Gäfgen-Track leitet die Abteilung Bildung und Schulen im Landeskirchenamt der Hannoverschen Landeskirche. Als Pastorin hat sie auch an Grundschulen unterrichtet.

Frau Gäfgen-Track, was halten Sie von dem Satz: „Für die Erstklässler beginnt jetzt der Ernst des Lebens“?

Wenig. Damit geben Erwachsene oft an Kinder weiter, dass sie selbst nicht so gute Erfahrungen in der Schule gemacht haben. Dabei bereitet Lernen Kindern Spaß und je jünger sie sind, desto leichter lernen sie. Wenn Kinder in der Schule unglücklich sind, machen Erwachsene etwas falsch.

Wie finden Eltern eine Balance zwischen Helfen und Druck auf die Kinder machen?

Natürlich, Lernen braucht Disziplin und Kontinuität, das stimmt. Leistung ist auch nichts Schlechtes, im Gegenteil. Eltern sollten nachfragen, was in der Schule passiert, Interesse zeigen. Ganz wichtig ist positiv zu bleiben, auch wenn mal was nicht klappt. Eltern sollten sich vor Augen halten, was das eigene Kind dazu gelernt hat, sich darüber freuen und das loben. Vergleiche mit anderen Kindern helfen da wenig. Und wer schon am Anfang sagt: „Mein Kind macht Abi mit 1,0!“, der tut dem Kind keinen Gefallen. Ich merke bei meinem Neffen, dass es hilft, Brücken von der Schule in den Alltag zu bauen. Wir rechnen mit Gummibärchen. Er lernt höhere Zahlen und bekommt so mehr Bärchen ...

Wenn Eltern Fragen haben, wo finden sie Hilfe?

Zum Beispiel bei den evangelischen Familienbildungsstätten oder Beratungseinrichtungen – erster Ansprechpartner sind aber die Lehrkräfte.

Einschulungsgottesdienste gehören inzwischen den am meisten besuchten Gottesdiensten im Jahr. Wie kommt das?

Die Einschulung hat inzwischen bei vielen Familien einen hohen Stellenwert und ich freue mich sehr, dass der Einschulungsgottesdienst für die meisten, auch nicht christlichen Familien fest dazu gehört. Im Mittelpunkt steht für Kinder und Eltern der Segen Gottes, den jedes Kind ganz individuell als Stärkung für den neuen Lebensabschnitt zugesprochen bekommt. Und genau das ist wichtig: Dass das Kind einen Start in die Schulzeit erlebt, bei dem es sich wohlfühlt, der es bestärkt und den es gemeinsam mit Familie und Freunden erlebt.

Vielen Familien feiern mittlerweile aus Anlass der Einschulung ein mehr oder weniger großes Fest, auch mit vielen Geschenken. Was halten Sie davon?

Einerseits freut es Kinder, wenn sie im Mittelpunkt stehen und Geschenke bekommen. Andererseits baut sich damit auch leicht Druck auf, weil die Bedeutung der Schule damit sehr unterstrichen wird und die Erwartung im Raum steht, dass das Kind in der Schule erfolgreich ist. Außerdem können es sich viele Eltern oder gerade auch Alleinerziehende ein solches Fest gar nicht leisten. Feiern ja, aber in einem Rahmen, der dem Kind gut tut.“

Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihre Einschulung denken?

An den Zeigestock. Ich bin Linkshänderin. Damals, 1966, hat die Lehrerin mir auf die linke Hand geschlagen, bis ich mit rechts geschrieben habe. Jetzt habe ich eine schlechte Handschrift und ich bin nicht gerne zur Schule gegangen. Deswegen finde ich es wichtig, dass man schaut, was das einzelne Kind gut kann. Es muss nicht alles perfekt sein.  

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Einschulung mit dem Sonntagsmaler

Hans Hentschel ist der "Sonntagsmaler". Der Theologe setzt sich zeichnerisch mit den großen und kleinen Ängsten auseinander, die beim Schulanfang auftauchen können. Und er verrät, was dagegen hilft.