Startseite Archiv Tagesthema vom 09. Juli 2018

Die „DIEPHOLZER PLATTE“

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Ehrenamtliche versorgen Bedürftige mit Lebensmitteln und warmen Mahlzeiten

„Wir wollen zeigen, dass wir uns als Kirche hier in Diepholz für die Menschen einsetzen“ 

Sechzig Kunden hat die „Diepholzer Platte plus“ pro Woche – mindestens. Und die Nachfrage steigt. Seit 2007 gibt es in der St. Michaelisgemeinde in Diepholz die Lebensmittelausgabe für Bedürftige. Schon seit 2003 geben die Ehrenamtlichen hier einmal pro Woche eine warme Mahlzeit aus, an Tischen, die gedeckt sind wie in einem Restaurant. Eine Lebensmittelausgabe, die auch warme Speisen ausgibt – das ist etwas Besonderes im Sprengel Osnabrück. Landessuperintendentin Birgit Klostermeier hat die „Diepholzer Platte“ und die „Diepholzer Platte plus“ besucht.

Freitagmittag in der ersten Etage des Gemeindehauses St. Michaelis in Diepholz: Seit zwei Stunden sitzen die ersten Kunden der „Diepholzer Platte plus“ auf dem Flur vor den Räumen der Lebensmittelausgabe. Ältere, Jüngere, Männer und Frauen mit Kindern - sie haben von Ursula Brandt, der „guten Seele“ der „Diepholzer Platte plus“ bereits eine Marke bekommen. Sie regelt die Reihenfolge und sichert damit einen reibungslosen Ablauf. Die Ehrenamtlichen sprechen mit Absicht nicht von „Bedürftigen“, sondern von „Kunden“ – schließlich leisten die Gäste einen kleinen Obolus: Erwachsene einen Euro, Kinder fünfzig Cent.

Angefangen hatte alles mit der „Diepholzer Platte“ – ohne das „plus“ im Namen. Bis heute kochen dabei zehn Frauen einmal pro Woche, immer dienstags, für Obdachlose und andere Bedürftige. Zwei der ehrenamtlichen Köchinnen sind Helga Harmann und die gebürtige Berlinerin Christa Scheerhorn. Helga Harmann hat schon früher, als ihre Kinder noch im Haus waren, täglich für sechs Personen gekocht. Als ihr Mann starb, suchte sie eine neue, sinnvolle Aufgabe. Sie fand sie bei der „Platte“. Und auch Ursula Große Klönne, die an der Lebensmittelausgabe mit anpackt, bringt ihre Erfahrungen von zu Hause mit – sie ist Mutter von sechs Kindern. „Dabei war es eigentlich immer schon mein Wunsch, Verkäuferin zu sein“, sagt die große, schlanke Frau und lächelt.

Um Punkt 13 Uhr geht es los, bei der „Diepholzer Platte plus“. Heute haben sich besonders viele Menschen angemeldet – fast vierzig sind es dieses Mal. „Mögen Sie Kartoffelsalat?“ fragt Ursula Große Klönne. „Ja, gerne“, antwortet eine Frau mit dichten grauen Haaren und einer langen Strickjacke. „Wie wäre es mit Paprika? Wir haben heute Paprika!“ „Gerne“, sagt die ältere Frau zurückhaltend, und legt ihre Lebensmittel vorsichtig in die mitgebrachte Tasche. Sie will, wie die anderen Kunden, anonym bleiben. Wenn sie gut mit ihrem Einkauf bei der „Platte“ wirtschaftet, dann wird sie fast die ganze Woche damit hinkommen. Oder zumindest bis zum kommenden Dienstag, dem nächsten Öffnungstag der „Platte plus“.

Schnell wird der nächste Kunde aufgerufen. Dieses Mal ist es eine junge Frau mit zwei Kindern. Manche Kunden, die schon seit Jahren zur „Diepholzer Platte plus“ kommen, schütten den Ehrenamtlichen ihr Herz aus. „Erst habe ich gedacht, ich kann das nicht – wenn Frauen hier bei uns geweint haben. Es tat mir so leid“, sagt Renate Kallenbach im Gespräch mit Landessuperintendentin Birgit Klostermeier. „Doch dann habe ich gedacht: `Doch, Du willst das aber!´“, sagt die jung gebliebene 81-Jährige und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Auch den Ehrenamtlichen gibt diese Aufgabe Halt. Ursula Brandt, die bereits erwähnte „gute Seele“ der Lebensmittelausgabe zum Beispiel, hat die Arbeit bei der „Platte plus“ nach einer schweren Erkrankung wieder neuen Auftrieb gegeben: „Ich musste aufstehen. Da waren Leute, die auf mich warteten.“ Schließlich ist Brandt diejenige, die zu Beginn eines neuen Ausgabe-Tages als erste den Lagebericht abfragt und den weiteren Tagesablauf koordiniert, und das nun schon seit elf Jahren. Zu den derzeit 22 Helfern gehören auch neun Männer. Sie fahren die Touren vom Supermarkt zum Gemeindehaus oder sie werben bei Geschäften in der Stadt Spenden ein.

Weder die „Diepholzer Platte“ noch die „Diepholzer Platte plus“ gehört zum Dachverband der deutschen Tafeln. Und das soll auch in Zukunft so bleiben, sagt Reiner Seidel. Er ist einer der Männer, die als Rentner die Kenntnisse aus ihrem Berufsleben bei der „Platte“ mit einbringen. „Die Tafeln haben immer gesagt: die Kirche und die Politik müssen mehr für die Gesellschaft tun. Und deshalb wollen wir nicht Teil der Tafel sein. Wir wollen zeigen, dass wir uns hier in Diepholz für die Menschen einsetzen - als Kirche“, sagt Seidel. Wobei es zwischen der Einrichtung in Diepholz und den Tafeln in den Nachbarstädten keine Konkurrenz gibt – ganz im Gegenteil. „Als ein Unternehmen uns einmal 15.000 Teebeutel geschenkt hat, da haben wir die mit der Tafel geteilt – so konnten auch Menschen in Lohne davon profitieren. Unsere Kunden allein hätten sie ja nicht verbrauchen können“, erzählt Seidel.

Das alles wäre nicht möglich ohne die Unterstützung von bislang 14 Unternehmen – darunter neun Supermärkte und zwei Bäckereien. Sie liefern Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum bald abläuft und die sich deshalb nicht mehr verkaufen lassen, die aber noch vollkommen genießbar sind. „Das Einzige, was manchmal knapp ist, das ist Fleisch und Gemüse“, berichtet Hans-Jürgen Waschke vom Diakonischen Werk. „Dann müssen wir mehr rationieren“, sagt er. Eine Berechtigungskarte bekommen deshalb nur diejenigen, die nicht mehr als ihre Hartz IV-Bezüge plus 100 Euro im Monat zur Verfügung haben.

Mehr als 700 Berechtigungskarten hat Bodo von Bodelschwingh vom Diakonischen Werk Diepholz seit der Gründung der „Platte“ in Diepholz ausgegeben. Mal steckt eine Person dahinter, mal ist es eine achtköpfige Familie. 60 Kunden sind es mindestens pro Woche, an den beiden Öffnungstagen dienstags und freitags – plus die Gäste der warmen Mahlzeit am Dienstagabend. Die „Platte“ ist für die Menschen auch eine Anlaufstelle bei Problemen. „Es ist schon häufiger vorgekommen, dass Frauen bei uns Hilfe gesucht haben, weil sie zu Hause geschlagen wurden, und dass wir sie dann ins Frauenhaus begleitet haben“, erzählt Waschke im Gespräch mit Regionalbischöfin Klostermeier.

Die Diskussion, die die Essener Tafel Anfang des Jahres auf die Agenda gebracht hat, kennen die Mitarbeiter der „Diepholzer Platte“. Der Leiter der Essener Einrichtung hatte einen mehrwöchigen Aufnahmestopp für Ausländer verhängt, weil sich langjährige Kunden durch deren steigende Präsenz zunehmend verdrängt fühlten. In der „Diepholzer Platte plus“ sind rund die Hälfte der Kunden Senioren, deren Rente nicht zum täglichen Leben ausreicht. Von einem regelrechten Kampf um Lebensmittel – wie in Essen - kann hier keine Rede sein. „Wir haben keine Probleme mit Flüchtlingen oder Menschen aus anderen Ländern. Alles läuft der Reihe nach ab, und durch das System mit den Marken ist sichergestellt, dass auch der Letzte in der Schlange noch etwas bekommt“, sagt Lothar Bode, der mit zum Organisations-Team der „Diepholzer Platte plus“ gehört.

„Es ist faszinierend, mit wie viel tatkräftigem Engagement, mit wie viel Herzlichkeit, Energie und Wärme das Team der beiden `Platten´ hier in Diepholz eine Anlaufstelle für Menschen schafft, die es – manchmal vorübergehend, manchmal schon seit vielen Jahren – nicht einfach haben im Leben“, sagt Landessuperintendentin Birgit Klostermeier bei ihrem Besuch in Diepholz. „Die Ehrenamtlichen machen dieses Gemeindehaus durch die vielen Stunden, in denen sie sich hier einbringen, für viele Menschen zu einem guten Ort. `Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.´ - Die Worte der Jahreslosung werden hier wahr, sind zu greifen, ja, zu schmecken. Dafür kann ich nur Danke sagen und Ihnen für Ihre Arbeit weiterhin viel Elan und Freude wünschen.“

Die Freude und der Elan sind auch nach teils langen Jahren zu spüren – zum Beispiel, als sich einige der Ehrenamtlichen nach dem großen Ansturm erleichtert, vielleicht ein wenig verschwitzt, aber auf jeden Fall froh und lachend in die Arme fallen. In der kommenden Woche sehen sie sich wieder.

Sprengelfrüchte - die Idee

"Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst." - Das ist die Jahreslosung für das Jahr 2018. Sie stammt aus der Offenbarung des Johannes (21,6). Unter diesem Motto sollen die "Sprengelfrüchte" auch in diesem Jahr fortgesetzt werden.

Was ist es, was Menschen Trost bietet, wenn sie zum Beispiel ihre Heimat verloren haben? Was hilft einem Jugendlichen, andere zu trösten, die Probleme in der Schule oder im Elternhaus haben? Oder was geschieht, wenn jemand scheinbar untröstlich ist, weil er weiß, dass sein Kind sterben wird? Diesen Fragen ist die Landessuperintendentin Birgit Klostermeier in der Reihe „Sprengelfrüchte“ 2016 zum ersten Mal auf den Grund gegangen – in Gesprächen mit Ehrenamtlichen, mit Organisatoren, Seelsorgern und Betreuern. Das ganze Jahr über hat sie verschiedene Einrichtungen und Initiativen besucht, um das Engagement im Sprengel Osnabrück zu erkunden.

Und die Reihe wird fortgesetzt! 2018 geht es unter anderem um die Diepholzer Platte, das Thema Taufe und die Frage nach Wirtschaft und Gerechtigkeit.