Startseite Archiv Tagesthema vom 05. Mai 2018

Jeder kann beten

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Andacht zum Sonntag Rogate

Lange haben wir zusammengesessen, haben das Leben seiner Frau vor unseren Augen Revue passieren lassen. Ein erfülltes Leben, 92 Jahre alt war sie geworden. Nun war sie verstorben. Und ihr Mann saß vor mir auf seinem Sofa, in sich zusammengesunken, so als hätte ihr Tod auch ihm die Lebenskraft entzogen. „Sie kann doch noch nicht gehen. Es gibt noch so viel zu erledigen.“  Gemeinsam haben wir dann die Trauerfeier vorbereitet, überlegt, welcher Spruch zu seiner Frau passte. Beim Abschied sagte er mir: „Beten Sie für mich, Frau Pastorin. Ich geh da nicht mehr hin, in die Kirche. Ich bin sonst immer gegangen, mit meiner Frau. Aber er hat mir nicht geholfen, was soll ich da noch hingehen. Wieso nimmt er mir meine Frau? Wir hatten noch so viel zu erledigen… Beten Sie für mich!“

Beten ist eigentlich out. Was soll das Beten überhaupt? Wer betet, in welcher Situation, und an wen richtet sich das Gebet? Ist es nicht ein Selbstgespräch, das nur mir selbst guttut, weil ich in Worte fasse, was mich bewegt? Beten ist out.
Und zugleich ist das Gebet sehr präsent in unserem Alltag. Ich denke an Autobahnkirchen und Flughafenkapellen, an Räume der Stille in Krankenhäusern und Heimen, ich denke an Gebetsecken in Kirchen wie dem Petersdom in Rom oder Notre Dame in Paris. Ich denke auch an offene Kirchen, an Urlauberkirchen, an Kirchentage, an Taizé, an unser Landesjugendcamp und an die unzähligen Gottesdienste am Sonntagmorgen in unseren Kirchen. Orte des Gebetes gibt es unendlich viele und Menschen, die beten, ebenso.

Denn  jeder Mensch kann beten. Wir Menschen lernen im Laufe unseres Lebens unterschiedliche Formen des Gebetes kennen. Kinder bekommen, wenn es den Eltern wichtig ist, das Ritual des Gebetes früh schon beigebracht und erfahren so von klein auf das Geborgensein im Zwiegespräch mit Gott. Jugendliche lernen in der Konfirmandenzeit, eigene Lebenserfahrungen in Gebeten zu formulieren und auszudrücken. Junge Erwachsene lassen sich mit Gebet und Handauflegung für ihren gemeinsamen Lebensweg segnen, kranke Menschen erfahren im Gebet Halt und Trost. Und Verstorbene verabschieden wir mit einem Gebet aus unserem Leben.  Das alles sind Gebete, die Stationen auf unserem Lebensweg begleiten.

Zwei Formen des Gebetes bedeuten mir besonders viel. 
Die erste Form ist die eigene Sammlung: Unser Eingangsgebet im Gottesdienst zum Beispiel, das mir hilft, anzukommen und hinter mir zu lassen, was jetzt nicht hierhergehört. Oder das kurze Gebet am Frühstückstisch: ‚Gott, lass mir diesen Tag gelingen!‘ Ein kurzes Stoßgebet vor einer schwierigen Aufgabe; ein Dankgebet abends, bevor ich einschlafe: alles Gebete, die mir selbst den Zugang zu meiner Seele eröffnen, die mich bei mir selbst sein lassen, die mich mir selbst und damit auch Gott begegnen lassen. 

Die zweite Form sind Gebete, die mir den Blick für das eröffnen, was um mich herum geschieht: Für die Menschen, mit denen ich lebe, die Stadt, das Land. Es ist die Bitte, die meinen Blick auf Andere lenkt, die mich formulieren lässt, was Andere brauchen. 

Diese Fürbitte hat viele Orte und viele Gestalten. Mich beeindruckt, dass Brot für die Welt in jeder Woche ein Fürbittengebet veröffentlicht, das von Einzelpersonen und Gemeinden gesprochen wird als Solidaritätskundgebung für Menschen in einem Krisengebiet. Mich berührt es, wenn mir Menschen sagen: Wir beten für dich. Welch eine Kraft überträgt sich da auf mich in dem Wissen: Ja, da denken Menschen an mich, sie meinen es gut mit mir und wünschen mir Gutes.

Mir tut es gut, wenn wir in unseren Taizé-Andachten Psalmen singen, immer wieder, ohne große Überlegung uns hineinbegeben in die alten Worte, die uns mit unzähligen Glaubenden verbinden und unsere Gemeinschaft stärken.

 Und mich bewegt es, wenn Menschen, die selbst  nicht mehr beten können, sagen: Beten Sie für mich! Welch eine Verantwortung, aber auch welch ein Zutrauen und welch eine enge Verbundenheit entsteht durch ein solches Gebet!

Und wenn wir nicht (mehr) beten können, weil uns die Traurigkeit oder auch die Freude verstummen lassen? Dann haben wir immer die Möglichkeit zurückzugreifen auf die Schätze an Gebeten und Liedern, die unser Gesangbuch uns bietet. Oder wir beten mit den Worten des Vaterunsers, das uns Jesus gelehrt hat.  
  
Und schließlich: Beten ist sprechen, beten ist singen, beten ist auch schweigen und hören:
  
Gott ist gegenwärtig,
lasset uns anbeten
und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gott ist in der Mitte.
Alles in uns schweige
Und sich innigst vor ihm beuge.
Wer ihn kennt, wer ihn nennt,
schlag die Augen nieder,
kommt, ergebt euch wieder. Amen.

Superintendentin Antje Marklein, Ronnenberg

Der Bibeltext

Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, auf dass ich es so offenbar mache, wie ich es soll.

Kolosser 4, 2-4
 

Die Autorin