Startseite Archiv Tagesthema vom 24. November 2017

"Die Trauer ist wie ein Messer im Körper"

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Der Verein "Leere Wiege Hannover" hilft verwaisten Eltern

Als Stefanie Michael (33) ihren Sohn Nebo im fünften Schwangerschaftsmonat in Hannover auf die Welt bringt, ist er bereits tot. Etwa einen Monat vorher habe eine Untersuchung untergeben, dass der Kleine nicht zeitgerecht entwickelt ist, berichtet die verwaiste Mutter mit den freundlichen Augen. "Ich war nicht darauf gefasst, dass etwas sein könnte." Die Ärzte vermuten den Gendefekt Triploidie, weitere Tests folgen. Noch bevor die Diagnose sich bestätigt, stirbt Nebo im Bauch seiner Mutter. Im Juni 2016 werden die Wehen eingeleitet, Stefanie Michael hat eine sogenannte stille Geburt. Unterstützung in dieser schrecklichen Situation finden Eltern bei dem Verein "Leere Wiege Hannover".

Heidi Blohmann hat den Verein vor sechs Jahren gegründet. Die 61-jährige Hebamme mit den kurzen Haaren ist ein Mensch, der Ruhe und Kraft ausstrahlt. Wenn Eltern ein Kind verlieren, sei "die Trauer wie ein Messer im Körper, das sich ganz langsam dreht", beschreibt sie. Bis zu 85 Prozent der Eltern trennten sich in den ersten drei Jahren nach dem Tod ihres Kindes. Sie habe sich gleich zu Beginn ein Ziel für die Betreuung gesetzt, betont die patente Frau: "Ich will, dass die Eltern physisch und psychisch gesund bleiben und die Partnerschaft erhalten bleibt."

Stefanie Michael und ihr Freund merkten schnell, "dass wir Hilfe brauchen", erinnert sich die gelernte Fotografin. Nach der Geburt konnten sie ihren Sohn in Ruhe verabschieden. Ganz klein sei er gewesen, "aber alles schon dran", erzählt sie. "Er lag in einem Babykästchen, es war alles sehr würdevoll gemacht." Aber irgendwann müssen sie Abschied nehmen, das tote Baby bleibt im Krankenhaus. "Die Gefühle sind nicht zu beschreiben", sagt Michael in gefasstem Ton. Sie sei mit so viel Vorfreude an die Schwangerschaft herangegangen. "Und plötzlich ist das alles vorbei."

Die "Leere Wiege" bietet verschiedene Gruppen an mit Themenschwerpunkten wie "Unterschiede in der Trauer zwischen Frau und Mann" oder "Rückkehr in den Alltag", erläutert die ausgebildete Trauerbegleiterin Blohmann. Auch Einzelgespräche bei ihr sind möglich. Außerdem gebe es Zusatzangebote wie Wanderungen oder kreative Angebote. Und nicht zu vergessen: Rückbildungskurse. Denn auch Mütter, die eine Fehlgeburt hatten, hätten einen Anspruch darauf und auch auf die Betreuung durch Hebammen. "Sie wissen aber oft gar nichts davon."

Blohmann, die auch als freie Referentin arbeitet, sieht darin ein großes Problem. Oft versäumten Krankenhäuser und Gynäkologen, verwaiste Eltern über ihre Rechte und Möglichkeiten zu informieren, sagt sie. Dabei sind viele Menschen betroffen: Der Bundesverband für verwaiste Eltern schätzt, dass jede dritte Schwangerschaft unglücklich endet. "Es darf nicht vom Zufall abhängen, dass Eltern Unterstützung erhalten", fordert Blohmann.  

Stefanie Michael empfindet es als "großes Glück", dass ein Arzt sie auf die "Leere Wiege" hingewiesen hat. "Es war wahnsinnig hilfreich, dass da Menschen sind, die genau verstehen, was du durchmachst", betont sie. Sie habe in der Gruppe nicht viel erklären müssen, "die Trauer und die Kinder existieren". Anders als für viele Außenstehende. Obwohl ihre Schwangerschaft für jeden sichtbar gewesen war, kamen nach Nebos Tod wenig Nachfragen, erinnert sich die junge Frau. "Da war sehr viel Sprachlosigkeit."

Verstorbene Kinder seien ein Tabuthema, bestätigt Blohmann. "Das ist etwas, wovor wir große Angst haben." Auch, weil die Rituale fehlten, Kondolenzbesuche etwa. Dabei sollten eigentlich schon Kinder lernen, dass der Tod "ein normaler Bestandteil des Lebens ist", findet sie. Die "Leere Wiege" richtet jedes Jahr um Himmelfahrt auf dem Friedhof im hannoverschen Stadtteil Stöcken eine Kindergedenkfeier aus - mit Musik und Luftballons für alle gestorbenen Kinder.

Auch Nebo wurde in der Kindergedenkstätte bestattet, erzählt Michael. Sie sei froh über den Ort der Trauer: "Da konnte ich mit meiner Mutter hingehen und zeigen, da liegt er." Aktuell ist die junge Frau wieder schwanger. Nach der Erfahrung mit Nebos Tod fühle sie sich nicht mehr so frei, gesteht sie. In die Freude mischten sich Ängste. Deshalb sucht sie wieder Blohmann zur Beratung auf. Aber eins weiß sie sicher: "Ich will das nie ungeschehen machen, dass es meinen Sohn gab."

Leonore Kratz (epd)

"Ohne dich"

Am 26. November findet um 19.00 Uhr in der Bützflether St. Nicolai-Kirche ein Gedenkgottesdienst für verstorbene Kinder statt. Die Gruppe verwaister Eltern mit Namen „Ohne Dich“ gestaltet den Gottesdienst mit Texten und Musik. Betroffenen Familienangehörigen sowie Freunden soll zum einen Zeit und Raum für die eigene Trauer gegeben werden. Zum anderen möchte die Gruppe „Ohne Dich“ den Gottesdienstbesuchern weiterführende Gedanken und Impulse der Hoffnung weitergeben. 

„Aus eigenen Erfahrungen mit Tod und Trauer ist dieser Gottesdienst entstanden“,  so Bettina Martin. Die Freiburgerin begleitet die Gruppe und steht auch für Gespräche zur Verfügung.  

Die Bützflether Kirche wird bereits ab 18.00 Uhr für Besucher geöffnet sein. Betroffene Eltern und Geschwister können die Namen der verstorbenen Kinder in ein Buch eintragen. Ein Bild der Kinder kann in einen Lichtkreis vor den Altar gestellt werden. Nach dem Gottesdienst gibt es bei einem kleinen Imbiss  die Möglichkeit zum Gedankenaustausch.

Sonja Domröse