Startseite Archiv Tagesthema vom 19. November 2016

Hinter dem Horizont

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Ewigkeitssonntag am 20. November


Vor einem Bankautomaten liegt ein älterer Herr. Er ist zusammengebrochen und völlig hilflos. Ein Kunde betritt den Bankraum, geht aber vorbei, hebt Geld ab und verlässt die Bank. Drei weitere Kunden steigen über den Mann hinüber, wickeln ihre Finanzgeschäfte ab – und gehen wieder. Erst der Fünfte ruft Hilfe. Zu spät: Der Mann stirbt. Dies geschah wirklich, mitten in Deutschland und vor gar nicht langer Zeit. Es geht nicht allein um unterlassene Hilfeleistung. Die einfachsten Gesten der Mitmenschlichkeit bleiben auf der Strecke. Keine Spur von Mitmenschlichkeit, stattdessen Zeichen einer großen Hilflosigkeit angesichts von Krankheit und Tod: Wegschauen, allein lassen, verdrängen. 

Anders ist es in diesen Tagen. Wir geben dem Tod ganz bewusst Raum. Wir besuchen die Gräber unserer Verstorbenen. Wir denken an dunkle Stunden und erinnern uns. Vielleicht spüren wir auch: Jeder Tod ist anders. Für die eine war er eine Erlösung und so natürlich wie ein Gang über den Hof. Für einen anderen ein Drama und ein plötzlicher Sturz ins Bodenlose.

Was ist der Tod? Der größte Feind, schreibt Paulus einmal. Und widerspricht sich an anderer Stelle selbst, wenn er schreibt: „Ein Siegeslauf!“ Wir können den heutigen Tag drehen und wenden wie eine Münze in der Hand. Auf der einen Seite steht „Tod“, auf der anderen „Ewigkeit“. Darum hat dieser Sonntag zwei Namen: „Totensonntag“ nennen ihn die einen, andere sagen: „Ewigkeitssonntag“. Wer „Ewigkeit“ sagt, hält fest, dass es da „hinter dem Horizont“ noch weitergeht... 

Das biblische Buch der Offenbarung wagt einen Blick hinter diesen Horizont. Wie aus der Ferne erklingt ein vielstimmiges Lied der Hoffnung: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein. Noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“ Ursprünglich waren diese Verse ein Hoffnungslied für die bedrohten Christen im römischen Weltreich. Der Seher Johannes schiebt die Kulissen des römischen Kaisers beiseite und spielt ein himmlisches Lied auf. 

Wenn uns heute Leid lähmt oder Not die Sprache verschlägt, dürfen wir jener Melodie lauschen, auch wenn sie noch hinter verschlossenen Türen spielt. Noch erklingt das große Lied Gottes nicht, aber wir dürfen auf unsere Weise einstimmen. Die Northeimer Lyrikerin Annemarie Schnitt tut es mit diesen Worten: 

Ich glaube an eine Bleibe hinter dem Horizont 
wohin kein Weh mich verfolgt 
wo keine Sorge mich lähmt 
wo keine Trauer mich drückt 


Ich glaube an eine Bleibe für mich 
unter einem anderen Himmel 
befreit von Erdenschwere 
auferstanden aus Asche 


Ich glaube an Siege über den Tod 
ich glaube solange ich glauben kann 
an etwas ganz Neues das noch kein Auge gesehen 
kein Ohr erhorcht 
keine Stimme besungen hat 


Ich glaube über das Leben hinaus ans Leben
 

Superintendent Jan von Lingen

Der Bibeltext

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! 
(Aus Offenbarung 21,1-7)

Der Ewigkeitssonntag

 Mit dem Ewigkeits- oder Totensonntag (20. November) endet das Kirchenjahr. Neben dem Andenken an die Verstorbenen wird in vielen evangelischen Gottesdiensten auch zu einem bewussteren Umgang mit der Lebenszeit ermutigt. Wem es gelinge, Abschied und Tod im Alltag zu bewältigen, der bekomme auch sein Leben besser in den Griff, heißt es in christlichen Lebenshilfen. Vergänglichkeit kann so als Gewinn und nicht nur als Verlust erfahren werden.

Die Religionen der Welt antworten auf die Frage nach dem Tod höchst unterschiedlich. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis, einem der ältesten christlichen Glaubenstexte, bekennen Christen ihren Glauben an "die Auferstehung der Toten und das ewige Leben". Theologen warnen zugleich vor einer Verharmlosung des Sterbens durch Spekulationen über ein Weiterleben. Es stehe allein fest, dass die "Geschichte Gottes" mit dem Menschen auch nach dem Tod weitergehen werde, heißt es.

Der Gedenktag am Sonntag geht auf die Reformationszeit zurück. Er stellt eine evangelische Alternative zum katholischen Allerseelentag dar. Der Ewigkeitssonntag wurde erstmals Mitte des 16. Jahrhunderts in einer Kirchenordnung erwähnt. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. führte ihn im 19. Jahrhundert als "Feiertag zum Gedächtnis der Entschlafenen" ein.

epd