Startseite Archiv Tagesthema vom 23. September 2016

Kanzel und E-Gitarre

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Musiker wollen mehr Pop in die Kirche bringen

Das Piano neben dem Taufstein, die E-Gitarre an der Kanzel: Wenn es nach dem "Netzwerk Popularmusik" in der hannoverschen Landeskirche ginge, gäbe es diesen Anblick und diesen Sound in der evangelischen Kirche viel öfter. "Populäre Musik trifft den Musikgeschmack der Mehrheit von Kirchenmitgliedern", sagt Geschäftsführer Andreas Hülsemann. Diese Musik müsse deshalb in Gottesdiensten und Fortbildungen selbstverständlich werden. Um ihrer Forderung nach professionell unterstützter Popmusik Nachdruck zu verleihen, haben die Initiatoren am Donnerstag in Hannover zehn Thesen vorgestellt.

"Wenn wir uns für die Popmusik in der Kirche stark machen, reagieren wir auf die Hörgewohnheiten der Menschen", unterstreicht Hülsemann. Auch die heute 60- oder 70-Jährigen seien mit dem Jazz, Rock und Pop der Nachkriegszeit aufgewachsen. "Sie haben deswegen auch ein Recht, solche Musik in Gottesdiensten vorzufinden." Populäre Musik mache dichte emotionale Erlebnisse möglich und könne dazu beitragen, dass mehr Menschen in die Kirche kämen.

Rund 500 Gospelchöre und etwa hundert Bands gibt es derzeit in der Landeskirche zwischen Göttingen und Cuxhaven - eine wachsende, dynamische und sich stetig verändernde Szene. Allerdings gibt es auch ein Problem: "Wir haben viele neue Songs", erläutert Hülsemann. "Aber wir haben noch nicht genug Menschen, die diese Lieder in Szene setzen." Damit dies künftig immer öfter möglich wird, braucht es aus seiner Sicht mehr professionelle Fortbildung für junge Musiker. Und dafür müsse die Kirche Geld in die Hand nehmen. 

Für rund hundert Fortbildungen pro Jahr in den 49 Kirchenkreisen der Landeskirche sind rund 200.000 Euro im Jahr nötig, rechnet Hülsemann. Auch unter klassisch ausgebildeten Musikern gebe es einen sehr hohen Bedarf, neue Lieder im Pop-Stil musikalisch begleiten zu können.

Der Freiburger Kirchenmusiker Martin Gotthard Schneider gab vor 55 Jahren die Initialzündung für die christliche Popmusik in Deutschland. Sein 1961 erschienenes Lied "Danke für diesen guten Morgen" ist heute ein Klassiker und hat längst einen Stammplatz im Gesangbuch.

Bei Kirchentagen und großen Events sei christliche Popularmusik heute etabliert und werde gefeiert, erläuterte der für Jazz, Rock und Pop zuständige Kirchenmusikdirektor Wolfgang Teichmann aus Hildesheim. In den Strukturen und an der Basis sei die neue Stilrichtung aber noch nicht richtig verankert. Das müsse sich dringend ändern.

An einem will Teichmann nicht rütteln: "Die Orgel ist und bleibt das Hauptinstrument der Kirche." Doch auch junge Leute, die Gitarre, Schlagzeug oder Saxofon spielten, bräuchten mehr Chancen und Anleitung von Profis. Mit diesem Ziel hat vor vier Jahren Til von Dombois als "Pop-Kantor" im Raum Hannover seine Arbeit aufgenommen. Mit Marco Knichala gibt es seit kurzem im Landkreis Schaumburg einen zweiten Profi-Popmusiker in kirchlichen Diensten - mit einer halben Stelle. Teichmann und Hülsemann sowie die vielen Bands und Gospelsänger hoffen, dass dieses Beispiel Schule macht.

epd Landesdienst Niedersachsen/Bremen

10 Thesen zur Popularmusik in Kirchen

  1. Popularmusik in der Kirche reagiert auf veränderte Hörgewohnheiten unserer Gesellschaft und stärkt damit die Anschlussfähigkeit der Kirche an die allgemeine kulturelle Entwicklung. 
  2. Popularmusik in der Kirche über- setzt die christliche Botschaft in unserer Gesellschaft und stärkt damit die Anschlussfähigkeit der Kirche an die allgemeine kulturelle Entwicklung. 
  3. Popularmusik trifft den Musikgeschmack der Mehrheit von Kirchenmitgliedern und sollte darum in Gottesdiensten, Musikworkshops, Projekten und Kompositionen selbstverständlich werden.
  4. Popularmusik gehört in die sogenannten Grundstandards aller Kirchenkreise, um neben der Basisarbeit für Gottesdienst und Gemeinde auch Leuchtturm-Projekte in den Regionen zu fördern und zu entwickeln.
  5. Popularmusik bringt musikalische und liturgische Frische in Gottesdienste und erreicht dadurch auch Menschen, die sich in traditionellen kirchlichen Formen wenig zu Hause fühlen.
  6. Popularmusik ist teilnehmerorientiert und bietet für viele Altersgruppen kommunikative, emotionale und kreative Beteiligungsmöglichkeit inder Kirche.
  7. Popularmusik erfordert ein vielseitiges Ausbildungsangebot und entsprechende personelle Ausstattung wie z.B. die Einrichtung von Stellen für Popkantoren in Kirchenkreisen und auf der Ebene der Landeskirche.
  8. Popularmusik benötigt vor Ort ein qualitativ angemessenes Instrumentarium, Technik, Musikliteratur sowie gezielte Öffentlichkeitsarbeit undVernetzung der Akteure.
  9. Popularmusik erreicht neue Zielgruppen für Gottesdienste und in Konzerten und ermöglicht zugleich innovative Konzepte für musikalische Nachwuchsgewinnung.
  10. Popularmusik braucht ein Investitionsdenken auf den Ebenen von Gemeinde, Kirchenkreis, Region und Landeskirche, damit kirchliche Bindung entwickelt und Kirchenmitgliedschaft gestärkt werden können.