Startseite Archiv Tagesthema vom 08. April 2016

Verlaufen

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„Papa?“ Keine Antwort. Neda ruft lauter. Die Augen füllen sich mit Tränen. Es ging blitzschnell. Der Stock war interessanter als an Papas Hand spazieren zu gehen. Als er nicht mehr zu sehen war, lief sie ein Stück zurück. Die falsche Abzweigung. „Papaaa!?“ Nochmal lauter. Verlaufen geht schnell. Wer erinnert sich nicht an diese Momente, in denen die Welt auf einmal bis an die Enden groß vor einem liegt?

Ein Schaf zum Beispiel läuft niemals freiwillig weg. Aber es konnte sein, dass es in das zackige Bergland Galiläas geriet. Und das hieß, verloren zu sein – hieß, dass es aus eigenen Mitteln nicht zur Herde zurückkehren konnte, durch Schluchten hindurch und über Felsspalten.

In der Innenstadt Hannovers drängen sich die Menschen. Wenn nun einer käme, ein kleines Mädchen vielleicht, und sich durchfragen würde nach Wegen und Zielen? Was man ihr sagen könne über das Leben? Über Sinn und Verstehen? Wenn es sich den mit Plastiktüten beladenen Menschen, den Bankern, den Polizistinnen, den Straßenverkäufern, dir oder mir in den Weg stellen würde? Und wenn nun das Merkwürdige geschähe und eine oder einer würde sich Zeit nehmen. Welche Antworten würde es wohl hören? Wer traut es sich noch, Vorbild zu sein? Das Risiko einer Antwort in einer unübersichtlich gewordenen Welt?

Wenn ich die Zeitung aufschlage, spüre ich, wie sich die Welt verlaufen hat. Und dann wünschte ich, es gäbe einen, wie Tim Bendzko es besingt: „Nur noch kurz die Welt retten“, der könnte das. Und hätte Antworten. Woher kommt Hoffnung? 

Christus hat euch ein Vorbild hinterlassen, so übersetzt Martin Luther im 1. Petrusbrief. Ein „Hypogrammon“ schreibt der griechische Text: eine Vorlage, eine Schablone, nach der sich unser Leben ausrichten soll. Die Geschichten erzählen uns nicht im Rückblick, so hat Jesus einmal gelebt. Sondern so könnt, sollt, dürft ihr auch. Und wer auf die Fußstapfen des Mannes aus Nazareth schaut, entdeckt vielleicht wieder Antworten in einer Welt, in der man sich verlaufen könnte.

Jesus hatte sich entschieden, den Bildern damaliger Nachrichten nicht zu entsprechen. Als er in Jerusalem einzog, unterlief er die Vorstellungen, die sich die Menschen damals von ihm machen wollten. Er war nicht das gängige Bild des Messias – kein Kriegsherr, waffenschwer, nicht gekommen, die Römer zu vertreiben. Er war nur ein Mann auf einem Esel. Die Kleider vermutlich staubig. Die Augen müde. Seine Worte fordernd. Enttäuscht wendeten sich viele ab: „Das hatten wir anders erwartet.“ Aber die anderen drängten sich um ihn – die Vernachlässigten und Misshandelten, die Lahmen und Blinden.

Und sie kamen zu ihm und wollten hören, wie Gott sei. Und er berührte und erzählte, erzählte von den Verlorenen und Verirrten. Vom verlorenen Sohn, vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Schaf. „Hundert Schafe“, sagte er, „und eines davon verloren gegangen.“ Du oder ich könnten das sein. Einer von uns. Kann ja sein.

Und vielleicht fragt sich dann jemand still und heimlich, nur so in Gedanken, ganz nebenbei oder brennend, ob Gott einer sei, der uns suchen würde? Ein Hirte unserer Seele? Nein. Nein, nicht nur das! Er ist einer, der alles stehen und liegen lässt, nur um dich finden zu können.

Mathis Burfien

Der Text

Dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen. 

(Aus 1. Petrusbrief 2,21b-25)

Der Autor

Pastor Mathis Burfien ist im Landeskirchenamt Ansprechpartner für den theologischen Nachwuchs und möchte mit seiner Arbeit junge Leute für den Pfarrberuf begeistern.