Startseite Archiv Tagesthema vom 17. März 2016

Sieben Jahrzehnte zurück

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Im ehemaligen Güterschuppen des Friedländer Bahnhofs wird noch eifrig gewerkelt. Es riecht nach Farbe, Arbeiter verrücken Regale und Vitrinen, montieren riesige Monitore auf eine eingezogene Zwischendecke. „Dies wird der Eingangsbereich des Museums“, sagt Kurator Joachim Baur.

„Hier können sich die Besucher anteasern lassen“. Anteasern? „Die Bildschirme werden so programmiert, dass sie jeden Tag ein anderes Ereignis beleuchten. Wer beispielsweise am 30. April kommt, erfährt, was im Lager Friedland an einem vergangenen 30. April passiert ist.“

Wenige Tage sind es noch bis zur Eröffnung des Museums Friedland. Der Umbau des historischen Bahnhofs ist inzwischen abgeschlossen - das 1890 errichtete Gebäude beherbergt die Dauerausstellung zur wechselvollen 70-jährigen Geschichte des Grenzdurchgangslagers. Die Kosten belaufen sich auf insgesamt 20 Millionen Euro, die sich Bund und Land teilen. Zur offiziellen Einweihung am heutigen Freitag, den 18. März, hat sich auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) angesagt. Einen Tag später soll es im Gebäude und dem ganzen Bahnhofsgelände ein Bürgerfest mit Führungen, Festvorträgen und Freibier geben.

Der Gang durch den sanierten Bahnhof ist auch ein Rundgang durch die deutsche Geschichte. Das Lager Friedland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der britischen Armee als Auffangstation für heimatlose und umherirrende Menschen und entlassene Kriegsgefangene errichtet.

Fotos zeigen ausgemergelte Gestalten, die in den eiskalten Nachkriegswintern vor der Lagerküche um Essen anstehen. Aber auch freudestrahlende Gesichter, wenn Mütter und Ehefrauen ihre Männer in die Arme schließen, die über Friedland aus den sowjetischen Gefangenencamps zurückkehrten.

Die Bilder dienten auch der Propaganda: „Friedland war damals wie heute politisch aufgeladen“, sagt Baur. Die Bezeichnung des Lagers nahe der ehemaligen innerdeutschen Grenze als „Tor zur“ galt als Kampfansage an die sozialistischen Länder. Dass unter den 10.000 letzten Gefangenen, deren Entlassung der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) bei seinem legendären Moskau-Besuch 1955 erwirkte, auch viele Nazi-Kriegsverbrecher und SS-Leute waren, wurde dagegen lange verschwiegen.

Später kamen vor allem Spätaussiedler aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern über Friedland in die Bundesrepublik, dann auch vietnamesische „Boat People“ und Chilenen, die vor der Pinochet-Diktatur flohen. Seit 2011 dient die Einrichtung als Erstaufnahme des Landes Niedersachsen für Asylsuchende. Das eigentlich für bis zu 700 Menschen ausgelegte Lager war im vergangenen Sommer teilweise dreifach überbelegt. Bislang haben insgesamt rund 4,5 Millionen Menschen das Lager durchlaufen.

Reimar Paul (epd)

Alle „Sieben Sachen“

In manchen Räumen wirkt die Schau fast überladen. Foto- und Textcollagen bedecken ganze Wände. Andere sind von oben bis unten mit alten Karteikästen dekoriert. Von einer Decke hängt ein verschachtelter Schrank aus Glas mit weiteren Karteikarten - ohne Bürokratie ging es damals schon nicht. Hörstationen und Touchscreen-Bildschirme spielen auf Knopfdruck Einzelschicksale ab. Telegramme, Bilder und noch mehr Fotos dokumentieren die mühselige Arbeit des Rotkreuz-Suchdienstes im Lager.

„Sieben Sachen“ heißt ein Raum unter dem Dach. Zeitübergreifend sind dort Gegenstände ausgestellt, die Menschen mit ins Lager brachten, dort erhielten oder verloren. Eine Schallplatte, ein Löffel, eine Comic-Figur aus Plastik, die Unterhose eines syrischen Flüchtlings mit eingenähter Geldtasche. Ein Handkoffer und ein Pappkarton mit alten Zloty-Scheinen und einem abgelaufenen polnischen Führerschein.

Ganz außen hängt ein verwaschener blauer Bundeswehr-Pullover mit abgetrenntem Wappen. „Den hat ein chilenischer Kommunist in den 1970er Jahren aus der Kleiderkammer bekommen und getragen“, erzählt Baur. Doch seine Genossen aus der linken Szene Göttingens hätten sich über den schwarz-rot-goldenen Aufnäher mokiert. „Da hat er den abgemacht.“

Reimar Paul (epd)