Startseite Archiv Tagesthema vom 17. Februar 2016

Mit 32 Jahren auf der Schulbank

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Darius Zozo ist 32 und drückt noch einmal die Schulbank. Gerade studieren er und seine Mitschüler in der Berufsschule das Buch „Deutsch am Arbeitsplatz“. Im Moment ist das Kapitel Arbeitszeitregelungen dran. Trockener Stoff, der aber später in seinem Leben noch eine Rolle spielen könnte. Das hofft der Flüchtling von der Elfenbeinküste zumindest. In Winsen bei Hamburg haben die evangelische Kirche und die Stadt im Februar ein neues Projekt für Flüchtlinge gestartet: Ein halbjähriger Kurs soll zunächst 20 Männern, unter anderem aus Syrien, Afghanistan und dem Sudan den Weg in eine Berufsausbildung ebnen. Auch Darius Zozo ist dabei - er möchte gern Elektroniker werden.

„Ich habe Arme und Beine, ich habe Glück, ich möchte etwas machen“, sagt der Afrikaner. In seiner Heimat hat er Abitur gemacht und war Medizintechniker an einem Krankenhaus. Doch weil er sich politisch engagierte, war sein Leben bedroht. Da sein Lebenslauf beispielhaft für viele Teilnehmer ist, haben die Initiatoren das Modellvorhaben „Darius-Projekt“ genannt. „Wir haben aus der Sicht von Flüchtlingen überlegt, was sinnvoll ist “, erläutert der evangelische Superintendent Christian Berndt. Die Männer in dem Projekt sind alle älter als 21, bringen aus ihrer Heimat Qualifikationen mit und können sich gut auf Deutsch verständigen - eine Gruppe, für die es bisher laut Berndt kaum Angebote gibt.

Der von der Bundesagentur für Arbeit anerkannte Vorkurs zur Lehre verknüpft Sprachunterricht und Praktika. Angesichts des Fachkräftemangels sei es auch eine Chance für Unternehmen, in die Ausbildung von Flüchtlingen zu investieren, sagt Projekt-Koordinator Bernd Egert. „Viele haben Potenzial.“ Egert war bis zu seinem Ruhestand Staatsrat bei der Hamburger Wirtschaftsbehörde. Jetzt engagiert er sich ehrenamtlich im „Internationalen Café“, das die Kirche in Winsen als Treffpunkt für Einheimische und Flüchtlinge eingerichtet hat.

Gemeinsam mit anderen hat er dort viele Gespräche mit Menschen geführt, die in Deutschland Zuflucht suchen. „Wir wollten sehen, für wen sich das Projekt eignet“, erläutert er. „Man muss etwas mehr über die Flüchtlinge wissen. Es wird oft zu wenig erfasst, weil die Zeit nicht da ist.“ Rund 400 Stunden hätten die Ehrenamtlichen eingesetzt, bevor das Projekt in trockenen Tüchern war, schätzt Christian Berndt. Ihr Engagement habe das Vorhaben erst möglich gemacht, auch Kooperationspartner hätten sie gesucht. Die Bundesanstalt für Arbeit unterstützt Firmen, die sich beteiligen. Die Kreisvolkshochschule übernimmt den Sprachunterricht, finanziert durch Landesmittel.

Das Darius-Projekt sei in manchem einzigartig, unterstreicht Berndt. So wollten die Ehrenamtlichen die Flüchtlinge auch während des Kurses als Paten begleiten. Denn nicht nur die Sprache sei für manche eine Hürde, auch Sorgen um Angehörige belasteten sie. Darius Zozo hat seine Großfamilie an der Elfenbeinküste zurückgelassen. „Ich wollte nicht gehen, aber mein Vater hat gesagt, du musst“, erzählt er. „Ich habe neun Freunde verloren, die umgebracht wurden.“

Seit fast zweieinhalb Jahren ist er jetzt in Deutschland. In einem Elektronik-Betrieb hat er bereits seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt und hat dort ab August eine Lehre in Aussicht. Er engagiert sich ehrenamtlich bei der Kirche und lebt mit seiner deutschen Freundin zusammen. Dennoch ist seine Zukunft ungewiss. Noch immer wartet er darauf, dass sein Asylantrag bearbeitet wird. „Das ist wie in einem Gefängnis - man weiß nicht, womit man rechnen muss“, sagt er. Und: „Wenn es für mich eine Möglichkeit gibt, hier zu leben, möchte ich das.“

Karen Miether (epd)

Flüchtlinge als Erzieher

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) spricht sich dafür aus, auch Asylbewerber und fachfremde Personen in Kindertagesstätten einzusetzen, um die Betreuung der wachsenden Zahl von Flüchtlingskindern zu ermöglichen. „Man kann Nicht-Erzieher einstellen. Diese brauchen dann eine berufsbegleitende Ausbildung“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstagsausgabe). Gewisse Voraussetzungen müssten die fachfremden Mitarbeiter aber mitbringen. Dazu zählen laut Tepe die Mittlere Reife, eine dreijährige Ausbildung und mindestens drei Jahre Berufserfahrung.

Um den wachsenden Bedarf an Erziehern zu decken, sei es eine denkbare Option, auch Flüchtlinge in Kitas einzusetzen, betonte Tepe: „Man sollte gucken, ob es unter den Asylbewerbern Menschen gibt, die in ihrem Herkunftsland eine pädagogische Ausbildung absolviert haben.“ Die derzeitige Situation in den Kindertagesstätten sei nicht befriedigend. „Bundesweit ist die Erzieher-Kind-Relation nicht ausreichend“, sagte die Gewerkschaftschefin. Idealerweise sollte das Verhältnis eins zu sieben betragen, doch vor allem in Ostdeutschland sei die Zahl der Kinder, die ein Erzieher betreuen muss, deutlich höher.

Die Integration von Flüchtlingen ins Bildungssystem steht auch im Fokus der Messe Didacta, die noch bis zum 20. Februar in Köln stattfindet. Mehr als 100.000 Besucher und 800 Aussteller werden zur Messe erwartet.

epd