Startseite Archiv Tagesthema vom 12. Februar 2016

In Versuchung

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

„Bring mich nicht in Versuchung“, sagte die Frau mit einer abwehrenden Geste, als ihr noch ein Stück Kuchen angeboten wurde. „Das hört sich ja fast an wie das Vaterunser: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“, antwortete der Gesprächspartner lachend. Dass er Pastor war, konnte er nie verbergen. So fügte er dann auch noch hinzu: „Aber da geht es ja um ganz andere Versuchungen. Dass wir sein wollen wie Gott und auf unsere eigene Stärke vertrauen.“

„Ich frage mich, was ihr von der Kirche eigentlich gegen Stärke habt. Mein Sohn erfährt in der Schule jeden Tag: Der Stärkere setzt sich durch. Die Kirche erscheint mir dagegen oft wie ein Verein von Schwächlingen.“ Die Frau wurde immer lebhafter und redete sich in Rage: „Also, ehrlich gesagt: Es stört mich, wenn ich in der Kirche immer Jesus am Kreuz sehe, Leid und Schmerzen. Das ist doch kein Wunder, dass die Kirche da nicht mehr attraktiv ist.“

„Ja, das ist skandalös, aber gerade das macht für mich das Besondere unseres Glaubens aus. Wir glauben nicht an einen Gott der Stärke, sondern an einen, der unsere Schwachheit kennt und um unsere Versuchungen weiß. In der Geschichte von der Versuchung Jesu wird das erzählt: Jesus kennt die Versuchung der Macht, die Versuchung, alles zu können und es der Welt zu zeigen. Er hat der Versuchung jedoch widerstanden, er hat Schwachheit und Leid am eigenen Leib erfahren.“

„Aber ich frage dich: Was nützt denn solch ein Gott der Schwachheit? Und das in einer Welt, in der Stärke zählt. Du hast es ja Silvester in Köln gesehen, wohin gefühlte Stärke führen kann.“

„Im Hebräerbrief wird Jesus als der Hohepriester bezeichnet, der mit unserer Schwachheit leidet und wie wir versucht worden ist. Doch nur durch ihn empfangen wir die Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Für mich heißt das: Durch Macht und Stärke finden wir nicht zu Gott. Wo wir aufhören, Übermenschliches von uns und anderen zu verlangen, da erfahren wir Gottes Gnade. Wo wir Schwäche zulassen, da kann Liebe wachsen. Das kann man gerade in der Passionszeit lernen.“

„Dann geht es aber in der Fastenzeit um mehr als sieben Wochen auf Kuchen zu verzichten …“ – „Ja, lass es mich mit einem Vers aus dem Gesangbuch (EG 86,1) sagen: ‚Jesu, meines Lebens Leben, Jesu, meines Todes Tod, der du dich für mich gegeben in die tiefste Seelennot, in das äußerste Verderben, nur dass ich nicht möchte sterben: tausend, tausendmal sei dir, liebster Jesu, Dank dafür.‘“

Matthias Wöhrmann

Der Text

Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.

(Aus Hebräer 4,14-16)

Der Autor

Pastor Matthias Wöhrmann leitet das Arbeitsfeld Gemeindeberatung und Organisationsentwicklung im Haus kirchlicher Dienste in Hannover.