Startseite Archiv Tagesthema vom 18. Januar 2016

„Mein Herz ist in Aleppo“

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Es ist kein einfaches Terrain, auf das sich der Bischof der Hannoverschen Landeskirche, Ralf Meister, in der vergangenen Woche begeben hat. Seit Jahren erschüttern Gewalt und Terror den Nahen Osten und zwingen viele Menschen zur Flucht. Mehr denn je stellt sich die Frage, ob nach einer fast 2000-jährigen Geschichte das Christentum in dieser Region eventuell ganz verschwindet. Aus dieser Sorge heraus hatte der Supreme Council der Evangelischen Kirchen in Syrien und im Libanon, die Dachorganisation aller evangelischen Kirchen in beiden Ländern, im August 2014 einen Hilferuf an die Kirchen in aller Welt geschickt. Die Hannoversche Landeskirche hatte seinerzeit darauf geantwortet. Mit seiner jetzigen Reise wollte Bischof Meister allerdings selbst ein persönliches Zeichen der Solidarität setzen. „Ich möchte ein klares Zeichen der Verbundenheit mit den Menschen in dieser Kriegsregion geben. Ich will ihnen zuhören und sehen, welche Hilfen wir geben können“, sagte Meister zu Beginn seiner Reise.

Paul Haidostian, der Präsident der Evangelisch-Armenischen Haigazian-Universität in Beirut, war dafür ein guter Ansprechpartner. „Die Frage nach der Präsenz der Christen im Nahen Osten ist existenziell geworden“, sagte Haidostian. „Der Massenexodus von Christen aus dem Irak und Syrien ist irreversibel. Die einen verlassen ihre Heimat, weil sie keine Zukunft mehr für sich und ihre Kinder sehen, die anderen werden von Terrorgruppen oder von Bomben gezwungen zu gehen.“ Diejenigen, die aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen nicht gehen könnten, hätten zunehmend das Gefühl, auf der Verliererseite zu stehen. Der Landesbischof konnte diese Empfindung gut nachvollziehen. Es erinnere ihn ein wenig an die Zeit der Wiedervereinigung, als vor allem junge und qualifizierte Leute die ehemalige DDR verließen und nach Westdeutschland gingen.

Auf diese Frage suchen Christen im Nahen Osten angesichts von Bomben und Terror jeden Tag eine Antwort. „Wir wollen nicht gehen“, sagte Hala Bitar, die aus der Arabisch-Evangelischen Gemeinde in Aleppo stammt, aufgrund ihrer Heirat mit einem Libanesen aber schon viele Jahre in Beirut lebt. „Mein Herz ist immer noch in Aleppo. Dort ist meine Kirche. Das ist für mich Heimat.“

Es sei für sie schlimm gewesen, als im November 2012 ihre Kirche von Mörsergranaten zerstört worden sei. Alles sei kaputtgegangen, kein einziges Schriftstück konnte mehr gerettet werden. Vor einem Jahr hätten die verbliebenen Gemeindeglieder sich die Frage gestellt, ob es nicht besser sei, dass die ganze christliche gemeinde Syrien verlasse. Doch anstatt die Koffer zu packen, habe die Gemeinde eine neue Kirche gebaut. Viele hätten das erst für eine verrückte Idee gehalten. „An Weihnachten konnte dort aber der erste Gottesdienst gefeiert werden“, erzählt Bitar. „Das ist für uns ein großartiges Hoffnungszeichen, dass es trotz allem weitergeht.“ Das Gleiche gelte für die Al Nash‘ Al Jadeed-Schule, die von der Ortskirche getragen wird, und auf deren Gelände lange Zeit gekämpft wurde. „Sie ist wieder in Betrieb“, berichtete Bitar.

Der Landesbischof zeigte sich beeindruckt, dass selbst unter den Gefahren des Krieges Menschen nach wie vor in Aleppo blieben und ihren Dienst verrichteten. „Das ist ein starker Ausdruck ihres Glaubens. Es bleibt ein Zeichen der Hoffnung, dass Christen in der Region, in der unser Glaube entstanden ist, ausharren und Zeugnis ablegen.“

Vom Ausharren berichtete auch Pfarrer Mofid Karajili aus Homs, das Anfang 2012 von Rebellen eingenommen wurde. Auch seine Kirche wurde damals zerstört. 70.000 Christen verließen damals die Stadt. Als 2014 die Rebellen wieder abrückten, kamen nur 3000 zurück. „Das Leben in Homs ist nicht einfach, aber es geht weiter“, sagte Karajili. „Wir können nicht sagen, ob wir eine Zukunft haben und können für nichts garantieren. Wir wissen aber, was unsere Aufgabe ist.“ Und die sehe die Gemeinde zum Beispiel in der Schule und in dem Altenheim, die beide von der Ortskirche getragen werden.

Auch habe er in der Jugendarbeit sogenannte „Space of hope – Teams“ gegründet, in denen Jugendliche aller Religionen immer wieder zusammenkommen und in gemischten Teams sportliche Wettkämpfe veranstalteten oder andere Spiele spielten. „In jeder Gruppe müssen Mädchen und Jungen, Muslime und Christen, Schiiten und Sunniten sein. Wenn sie gewinnen, gewinnen sie gemeinsam. Und wenn sie verlieren, verlieren sie gemeinsam“, sagte Karajili, der zum Abschluss noch Bilder von einer Jugendgruppe zeigte. Eine junge Frau lebe mittlerweile in Deutschland. „Ich hoffe, dass nicht alle gehen werden. Ich möchte sie nicht verlieren“, sagte Karajili.

Um die junge Generation zeigte sich auch Najla Kassab besorgt, die in der Nationalen Evangelischen Synode für Syrien und den Libanon für Jugendarbeit und Katechese zuständig ist. „Wir wollen nicht erleben müssen, dass es in Syrien irgendwann mal keine Christen mehr gibt“, sagte sie. „Es tut uns weh, dass wir alle unsere jungen Leute verlieren, weil sie hier keine Hoffnung mehr haben und sich nun bei Euch eine neue Zukunft aufbauen wollen.“ Sie frage sich, wie man es schaffen könne, dass diese jungen Leute den Gedanken an eine mögliche Rückkehr nicht ganz aufgeben und sich auch im Exil ihrer Heimatkirche weiterhin verbunden fühlen.

Katja Dorothea Buck hat Landesbischof Meister auf seiner Reise in den Libanon begleitet. Sie ist Religionswissenschaftlerin und Politologin und arbeitet seit vielen Jahren zum Thema Christen im Nahen Ost

„Wir brauchen auch Eure Fürsprache“

Als Leitender Geistlicher der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland musste Meister sich aber auch kritische Töne von Christen aus dem Nahen Osten anhören, die sich von den westlichen Kirchen im Stich gelassen fühlen. „Seit Beginn des Arabischen Frühlings versuchen wir Euch zu erklären, was für uns Christen auf dem Spiel steht. Aber ihr habt bisher nie zugehört“, sagte Michel Jalakh, der Generalsekretär des Mittelöstlichen Kirchenrats (MECC), in dem fast alle Kirchen der Region zusammengeschlossen sind. „Für uns hat der Westen seine Glaubwürdigkeit verloren.“

Seit der Gründung des MECC 1974 habe man sich immer wieder in Ausnahmesituationen befunden. Erst der Bürgerkrieg im Libanon (1975 bis 1990), dann der Irak-Krieg, 2006 der Krieg Israels gegen den Libanon und seit 2011 der sogenannte Arabische Frühling, der in Syrien zum Bürgerkrieg wurde und andere Länder der Region destabilisiert habe. „Wir brauchen nicht nur Eure Unterstützung, wir brauchen auch Eure Fürsprache bei den Politikern Eures Landes“, sagte Jalakh.

Dieser Appell blieb bei dem Landesbischof nicht ungehört. „Ich nehme Eure Stimmen mit nach Hause und werde sie zu Gehör bringen“, sagte Meister. „Wir werden unsere Kirchen ermutigen, euch stärker zu unterstützen.“ Wie sehr die Gespräche mit den Partnern auf Meister gewirkt hatten, zeigte sich schließlich bei einer Vorlesung an der Near East School of Theology, wo der Landesbischof über die Flüchtlingskrise und die Kirchen in Deutschland sprechen sollte. Nachdem er auf die globalen Zusammenhänge der Flüchtlingsströme und die erstaunliche Willkommenskultur in Deutschland eingegangen war, kam er auf die Erklärung der Leitenden Geistlichen der 20 evangelischen Landeskirchen zur Situation der Flüchtlinge zu sprechen, an der er im September 2015 selbst mitgearbeitet hatte.

„Nachdem ich drei Tage in Beirut war und mit vielen Menschen gesprochen habe, würde ich diese Erklärung heute anders formulieren“, sagte er vor rund hundert Zuhörerinnen und Zuhörern. „Die Erklärung ist viel zu unkonkret und geht mit keinem Wort auf das besondere Schicksal der Menschen ein, die in ihren christlichen Gemeinden ausharren. Als Minderheit der Minderheit werden sie in den  Kämpfen zwischen den islamischen Gruppen zerrieben. Wir haben nicht ausreichend bedacht, was es für die Christen des Nahen Ostens bedeutet, ihre Heimat zu verlassen. Wir haben da einen blinden Fleck“, sagte Meister. „In der Notwendigkeit, Menschen in Not in unserem Land zu helfen, haben wir vergessen, die Menschen zu unterstützen, die nicht geflohen sind, weil sie –trotz Krieg – in ihrer Heimat geblieben sind.“

Katja Dorothea Buck