Startseite Archiv Tagesthema vom 12. Januar 2016

Gefährliche Frauenbilder

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Der Schock über die Attacken gegen Frauen wird vielleicht denen helfen, die künftig in Bedrängnis geraten, hofft Irmgard Kopetzky vom Notruf für vergewaltigte Frauen in Köln. „Polizei und Zivilgesellschaft sind jetzt hoffentlich sensibler für solche Taten.“ Denn: „Ein geballtes Vorgehen von vielen Tätern gleichzeitig wie in der Silvesternacht gab es hier zwar noch nie, sexuelle Gewalt ist aber alltäglich - in Köln und auch sonst in Deutschland.“

Und sie finde auch im öffentlichen Raum statt: in Diskos, auf Partys, in Bus und Bahn. Jetzt gebe es zumindest kurzfristig Aufmerksamkeit dafür. „Dieses Interesse wünschten wir uns auch jährlich zu Karneval“, sagt Kopetzky. Denn der ist auch eine Hochzeit für sexuelle Übergriffe, berichtet sie. Massen von Menschen ziehen dann alkoholisiert durch die Straßen, feiern in Kneipen und auf Partys. „Dabei werden jedes Jahr viele Frauen sexuell belästigt und im schlimmsten Fall auch vergewaltigt“, sagt die Beraterin.

Häufig hörten die Opfer danach: „Hab dich doch nicht so“. Oder dass sie das Ganze durch ihr Outfit mitverursacht hätten. „Das menschenverachtende Bild der allzeit verfügbaren Frau gibt es in Deutschland schon sehr lange, und es ist in der Werbung allgegenwärtig sichtbar“, sagt Kopetzky. „Es ist nicht erst neu durch Zuwanderung zu uns gekommen.“

So sieht das auch Maike Bublitz vom Frauennotruf München, die vor mehr als zehn Jahren zusammen mit anderen Organisationen die Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“ ins Leben gerufen hat. Denn: Auch auf dem Oktoberfest in München kommt es jedes Jahr geballt zu sexueller Gewalt gegen Frauen. Etwa zehn Vergewaltigungen werden pro Fest angezeigt. „Die Dunkelziffer ist viel höher“, sagt Bublitz.

Auch das Einkesseln einzelner Frauen von kleineren Männergruppen sei auf den Münchener Wiesn schon vorgekommen. „Die Frauen wurden dann im Schutz der Gruppe begrapscht oder auch unterm Dirndl fotografiert“, erzählt Bublitz. Weil es in den Zelten brechend voll sei, bemerkten andere Besucher die Taten oft nicht. „Die Masse schützt die Täter, trotz Videoüberwachung und Polizeipräsenz.“ Wie zu Silvester und Karneval spiele auch Alkohol eine Rolle. „Er enthemmt“, sagt Bublitz.

Ungefähr 8.000 Vergewaltigungen werden pro Jahr in Deutschland angezeigt, zeigt die Kriminalstatistik. Die Dunkelziffer liege mindestens zehnmal so hoch, sagt Maja Wegener von der Frauenrechtsorganisation Terre des femmes. Verurteilt werden nach einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover nur etwa acht Prozent der Angeklagten.

Meistens spiele sich sexuelle Gewalt in Deutschland zuhause und unter Bekannten ab. Das zeige, wie verankert Sexismus und patriarchale Frauenbilder in der deutschen Gesellschaft seien, sagt Wegener. „Und natürlich spiegelt sich das im öffentlichen Raum wider.“ Die aktuelle Diskussion über die Herkunft der Täter bringe den Opfer nichts. „Frauen müssen von der Gesellschaft vor sexueller Gewalt geschützt werden - unabhängig davon, von wem sie ausgeht.“

Auch Rita Steffesenn vom Zentrum für Kriminologie und Polizeiforschung im rheinland-pfälzischen Kaisersesch hält nichts von einer Debatte über den Einwanderungshintergrund der Silvester-Täter. „Obwohl die Täter noch ermittelt werden müssen, werden schon Schlussfolgerungen aus ihrem möglichen Aufenthaltsstatus gezogen“, sagt die Kriminologin. Der überwiegende Teil von Sexualstraftätern in Deutschland sei deutsch.

Zu den aktuellen Vorfällen sagt die Kriminologin: „Die Polizei war mit dieser neuartigen Dimension in Köln überfordert. Aber wie nach dem ersten Amoklauf in Deutschland auch wird das neue Phänomen ab sofort in die Planung von Sicherheitskonzepten im öffentlichen Raum einfließen.“

Miriam Bunjes (epd)

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hält nichts von Anweisungen, in Polizeiberichten die Herkunft von ausländischen Tatverdächtigen zu verschweigen. Pistorius sagte dem Radiosender ffn in Hannover: „Solche Anweisungen gibt es in Niedersachsen nicht und ich hielte sie auch für falsch, weil wir natürlich offen und transparent mit Problemen umgehen müssen und sie benennen müssen, da wo es sie gibt.“

Nach den Übergriffen auf Frauen in Köln in der Silvesternacht, an denen auch Asylbewerber beteiligt waren, wurde zuletzt auch über die Informationspolitik der Polizei diskutiert. Der Vorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hatte in der Fernsehsendung „Hart aber Fair“ gesagt, jeder Beamte wisse, dass er eine „bestimmte politische Erwartungshaltung zu erfüllen hat“.

Wenn Flüchtlinge so wie in Köln straffällig würden, müsse das benannt werden, sagte Pistorius. „Und dann dürfen wir auch darüber sprechen“, betonte der Minister. „Gleichzeitig haben wir aber natürlich eine Verantwortung, uns vor die Flüchtlinge zu stellen, die friedlich und rechtstreu sind.“ Sie seien die überwiegende Mehrheit und würden sehr schnell pauschal mit verdächtigt und in Sippenhaft genommen.

epd

Weltreligion verunglimpft

Die Diskussion um Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht driftet aus Sicht von Muslimvertretern, Theologen und Wissenschaftlern zunehmend in eine gefährliche Richtung. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte am Dienstag dem Radiosender NDR Info, er beobachte eine wachsende Islamfeindlichkeit in Deutschland. In der öffentlichen Debatte gebe es eine „unglaubliche Emotionalisierung und Hysterisierung“. Der islamische Theologe Habib El Mallouki bezeichnete den Diskurs als beschämend und warnte wie der Osnabrücker Wissenschaftler Bülent Ucar vor pauschalen Urteilen über Muslime.

Mazyek sagte, der Zentralrat der Muslime sehe „einen durchaus nicht ungefährlichen, auch rechtsextremen Mob“, der im Internet und in sozialen Netzwerken teilweise Druck auf Politik und Medien ausübe. „Das müssen wir unterbinden.“ Er warnte davor, ethnische oder religiöse Hintergründe als Ursache für die sexuellen Übergriffe heranzuziehen. Soziologische und andere Begründungen dürften nicht außer Acht gelassen werden.

Der islamische Theologe Habib El Mallouki nannte die Diskussion nach den Vorfällen in Köln beschämend. Die Taten an sich seien scharf zu verurteilen, sagte der Professor am Institut für Islamische Theologie in Osnabrück dem Evangelischen Pressedienst (epd). Allerdings sei die Debatte seitdem von Ressentiments, falschen Fakten und rassistischen Vorurteilen beherrscht. „Damit wird eine Weltreligion verunglimpft, die die zweitstärkste Glaubensgemeinschaft in Deutschland und Europa ist.“

Selbst führende deutsche Politiker fabulierten über die vermeintliche Rückständigkeit der Muslime und die Überlegenheit der europäisch-christlichen Kultur, kritisierte der Theologe. So werde fälschlicherweise behauptet, der Islam sei mit dem Grundgesetz unvereinbar oder er enthalte Männlichkeitsnormen, die Gewalt legitimierten. Solche Äußerungen machten jahrelange Integrationsarbeit zunichte und seien Wasser auf die Mühlen von Rassisten, warnte Mallouki.

Ähnlich argumentierte der Osnabrücker Islamwissenschaftler Bülent Ucar. „Wenn ein paar hundert verhaltensgestörte, alkoholisierte Migranten sich so aufführen, dann ist das ein Fall für die Staatsanwaltschaft und hat nichts mit Religion zu tun“, sagte er dem epd. Aus den Verhaltensweisen Einzelner lasse sich kein Gegeneinander von Islam und Christentum oder „von aufgeklärter westlicher Moderne und patriarchalischer rückständiger orientalischer Kultur“ konstruieren.

Auch Ucar forderte eine konsequente strafrechtliche Verfolgung der Taten. Dies sei umso mehr gerechtfertigt, weil solches Verhalten die gesellschaftliche Atmosphäre vergifte und den unbescholtenen, leidgeprüften Flüchtlingen, wie auch den Muslimen im Allgemeinen schade. „Der Islam fordert nicht ein, dass Menschen sich betrinken oder fremde Frauen anbaggern“, sagte der Direktor des Instituts für Islamische Theologie: „Im Gegenteil: Das widerspricht all unseren religiösen Vorstellungen.“

epd