Startseite Archiv Tagesthema vom 06. September 2015

„Zusammen besser leben“ - Teil 1

Mit einem zentralen Eröffnungsgottesdienst in Veldhausen in der Grafschaft Bentheim hat die Diakonie in Niedersachsen am 6. September ihre diesjährige landesweite „Woche der Diakonie“ eröffnet. „Zusammen besser leben“ lautet das Motto des Aktionsprogramms, wie die in diesem Jahr gastgebende Evangelisch-reformierte Kirche am Freitag in Leer mitteilte. Im Zentrum der Aktionen steht das Thema Flüchtlinge.

Der Umgang mit Flüchtlingen sei derzeit eines der wichtigsten Themen in Kirche und Gesellschaft, sagte der reformierte Diakonie- und Ökumenepastor Thomas Fender. Die Kirche müsse auch angesichts von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und rechtsradikaler Ausschreitungen eine klare Position beziehen. An der Aktionswoche wollten sich viele der 3.000 diakonischen Einrichtungen in Niedersachsen sowie Kirchengemeinden beteiligen.

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Nach langem Leidensweg teils auch zu Fuß über Ungarn und Österreich nach Deutschland haben am Sonntag knapp 900 Flüchtlinge Niedersachsen erreicht. Sie sind am Sonntag Früh (6. September) am Braunschweiger Hauptbahnhof angekommen, sagte Matthias Eichler, Sprecher des Innenministeriums. Allein 500 seien mit Bussen zu Notunterkünften nach Lüchow weitergereist. Weitere seien in Braunschweig, Hannover und Hameln untergekommen. „Wir haben alle untergebracht“, betonte Eichler.

In Lüchow beziehen die Flüchtlinge nach nur 18-stündiger Vorbereitung auch durch ehrenamtliche Helfer in einem Gebäude der Polizei Quartier, das früher für die Unterbringung von Polizisten bei Castor-Transporten genutzt wurde. Die Johanniter-Unfall-Hilfe hat die Versorgung übernommen. „Zahlreiche Helferinnen und Helfer kümmern sich darum, dass die ankommenden Flüchtlinge ausreichend verpflegt und medizinisch versorgt werden“, sagte der Sprecher der Zentralen Polizeidirektion Hannover, Karsten Wolff.

„Für uns ist das innerhalb weniger Tage ein enormer organisatorischer und vor allem personeller Kraftakt“, sagte der Leiter des Koordinierungsstabes zur Flüchtlingsaufnahme, Friedhelm Meier. In Zusammenarbeit mit den Kommunen und Hilfsorganisationen sei es gelungen, die unerwartet angekommenen Flüchtlinge aufzunehmen. Innerhalb der vergangenen Woche hat das Land Niedersachsen eigenen Angaben zufolge zur Entlastung seiner Erstaufnahmeeinrichtungen bis heute rund 2000 zusätzliche Plätze für Flüchtlinge geschaffen.

Auch das Land Bremen beteiligt sich an der Aufnahme der Flüchtlinge, die am Wochenende über Ungarn zunächst in München eintrafen. 70 bis 100 Menschen sollten Schätzungen zufolge möglicherweise noch im Laufe des Sonntags am Bremer Hauptbahnhof ankommen. Sie sollen dann zunächst in einer Halle auf dem Gelände des Polizeipräsidiums in der Bremer Vahr untergebracht werden, sagte ein Sprecher der Sozialbehörde dem epd. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) kümmert sich vor Ort um die Versorgung.

Sie sei stolz auf die Solidarität vieler Institutionen, mit der innerhalb weniger Stunden dieses Hilfenetz aufgespannt worden sei, sagte Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). „Es ist ein Akt der Solidarität unter den Ländern und damit eine Selbstverständlichkeit, dass wir Bayern in dieser Situation nach unseren Möglichkeiten unterstützen.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zur Unterbringung und Integration von Flüchtlingen in einem Video-Podcast gesagt, es müsse „jede Ebene - Länder, Kommunen und auch der Bund - ihren fairen Anteil tragen“. Es gehe um eine nationale Aufgabe.

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Niedersachsen geht nach Medienberichten davon aus, dass in der zweiten Jahreshälfte bis Ende Januar 2016 noch etwa 45.000 Flüchtlinge auf die Kommunen im Land verteilt werden müssen. Die zuletzt festgelegten Verteilquoten und Verteilungskontingente seien inzwischen nahezu ausgeschöpft, zitiert die „Neue Osnabrücker Zeitung“ ein Schreiben des Innenministeriums an die Landkreise und kreisfreien Städte. Zugleich habe das Ministerium in dem Schreiben vom Donnerstag mitgeteilt, an einer Überarbeitung der Anrechnungspraxis zu arbeiten.

Derzeit müssten Landkreise mit Erstaufnahmeeinrichtungen wie beispielsweise Osnabrück mit Bramsche-Hesepe oder Göttingen mit Friedland weniger Flüchtlinge aufnehmen, hieß es. Möglicherweise müssen die betroffenen Kommunen künftig mehr Asylsuchende außerhalb der Landeseinrichtungen versorgen als bislang. Die Überlegungen dazu steckten jedoch noch im Anfangsstadium.

Diese Zahlen seien eine Konsequenz aus der Anhebung der Schätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, hieß es. Mitte August hatte die Behörde mitgeteilt, Deutschland müsse in diesem Jahr mit bis zu 800.000 Flüchtlingen oder Asylbewerbern rechnen. Auf Niedersachsen entfallen davon nach einem bundesweiten Verteilschlüssel rund 75.000 Menschen.

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Wort an die Gemeinden

In einem per Mail verschickten Brief an die knapp 1.300 Gemeinden der hannoverschen Landeskirche hat Landesbischof Ralf Meister dazu aufgerufen, sich für Flüchtlinge einzusetzen. Jeder könne auch mit bescheidenen Mitteln dazu beitragen, dass die Stimmung im Land gegenüber Flüchtlingen offen und willkommen bleibe, schreibt der evangelische Theologe in seinem „Wort an die Gemeinden“, das auch in den Gottesdiensten verlesen werden sollte. „Widersprechen Sie Stammtischparolen in Ihrer Nachbarschaft, beim Einkaufen und bei der Arbeit.“

Der Landesbischof dankte den Gemeinden und Kirchenkreisen für ihr ehren- und hauptamtliches Engagement. „Ich danke für die Zeit, die viele von Ihnen den Menschen schenken, die zu uns kommen.“

„Ich setze auf die Menschen“

Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, hat deutliche Kritik an der Flüchtlingspolitik vieler europäischer Länder geübt. „Es ist Verrat an der europäischen Idee, die da geschieht“, sagte sie  auf NDR Info Radio mit Blick auf Ungarn und Großbritannien, die sich gegen Flüchtlinge abschotteten. „Es gehört zu Europa, Menschen zu schützen, die fliehen.“

Die europäische Idee sei nicht, eine Insel der Seligen zu sein und neue Mauern zu bauen, betonte die ehemalige hannoversche Landesbischöfin. Europa verstehe sich vielmehr als eine freie Gemeinschaft, die auch anderen Menschen zur Seite stehe. „Flüchtlinge sind nicht irgendwelche Probleme, sondern Botschafter des weltweiten Elends, die jetzt vor der Tür stehen.“

Mit diesem Elend habe Europa durch Export und Import in vielfältiger Weise zu tun. „Europa ist mit der Welt verbunden.“ Gerade Ungarn habe Milliardenhilfen erhalten, um Mitglied der Europäischen Union zu werden. „Wenn Herr Orban jetzt sagt, das ist ein deutsches Problem, dann muss er den EU-Beitritt zurücknehmen“, sagte die Theologin mit Blick auf Äußerungen des ungarischen Ministerpräsidenten.

Sie hoffe auf die Kraft der Zivilbevölkerung, sagte Käßmann weiter. „Ich setze darauf, dass jetzt Menschen zeigen, dass sie Europäerinnen und Europäer sind.“ Es gebe eine breite Bewegung in der Gesellschaft, um Flüchtlinge zu integrieren.

epd