Startseite Archiv Tagesthema vom 20. Juli 2015

Ausgang ungewiss

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Nach zwei Anwälten von Nebenklägern haben jetzt auch die Verteidiger von Oskar Gröning Revision gegen das Urteil im Lüneburger Auschwitz-Prozess eingelegt. Nach ihrer Auffassung könnte ihr 94-jähriger Mandant doch noch davon profitieren, dass er in früheren Verfahren gegen andere SS-Leute als Zeuge ausgesagt hat, sagte der hannoversche Rechtsanwalt Hans Holtermann dem epd.

Strafmildernd könne sich zudem eine unrechtsmäßige Verfahrensverzögerung auswirken. „Das ist das, was wir nach derzeitigem Stand genau prüfen werden“, sagte Holtermann. Gröning war bereits 1978 als Beschuldigter vernommen, aber zunächst nie angeklagt worden. Während des Lüneburger Prozesses hatten die Verteidiger darauf plädiert, den früheren SS-Mann freizusprechen oder ihm zumindest eine Haft zu ersparen.

Das Lüneburger Landgericht hatte Gröning am 15. Juli 2015 wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Es befand den früheren Buchhalter von Auschwitz für schuldig, durch seine Tätigkeit in dem Lager den fabrikmäßig organisierten Massenmord an ungarischen Juden unterstützt zu haben.

„Ich habe während des Prozesses kein einziges Indiz gehört, das die Verurteilung wegen Täterschaft begründen würde.“
Nebenklage Anwalt Thomas Walther

Auch die Nebenklage Anwälte Andreas Schulz und Khubaib-Ali Mohammed haben Revision eingelegt und wollen den Fall Gröning vor den Bundesgerichtshof bringen, wie das Landgericht bestätigte. Sie hatten bereits während des Prozesses beantragt, dass Gröning nicht wegen Beihilfe, sondern wegen Mittäterschaft am Massenmord angeklagt werden sollte. Aus Sicht ihrer Mandanten habe das Landgericht die Taten Grönings im Vernichtungslager Auschwitz nicht korrekt bewertet.

Eine Mehrheit der Nebenkläger, die meisten von ihnen Auschwitz-Überlebende, hatten das Urteil dagegen begrüßt. Eine Revision gefährde, dass es rechtskräftig werde und wecke falsche Hoffnungen, sagte der Nebenklage Anwalt Thomas Walther aus Kempten. Er halte es für unrealistisch aus dem Gehilfen Gröning einen Mittäter zu machen.

„Ich habe während des Prozesses kein einziges Indiz gehört, das die Verurteilung wegen Täterschaft begründen würde“, sagte Walther, der gemeinsam mit Kollegen rund 50 der insgesamt mehr als 70 Nebenkläger vertritt. Gleichzeitig habe er Verständnis für Nebenkläger, die sich angesichts der Ermordung ihrer Familien und ihres eigenen Leides eine lebenslängliche Haftstrafe wünschten.

Auch die Staatsanwaltschaft Hannover prüft eine Revision. Die Frist dafür läuft noch bis zum 22. Juli. Ob der Bundesgerichtshof in Karlsruhe als nächste Instanz die Revision zulässt, entscheide sich erst nach der schriftlichen Begründung von Urteil und Revisionsanträgen, sagte die Sprecherin des Lüneburger Landgerichtes, Frauke Albers. Bis zum 16. September habe das Lüneburger Gericht Zeit für die Urteilsbegründung Zeit. Danach blieben Anwälten und Verteidigern ein Monat, um Gründe für die Revision auszuführen.

epd
„Schlicht und ergreifend war Auschwitz eine auf die Tötung von Menschen ausgerichtete Maschinerie.“
Richter Franz Kompisch

Prozess war notwendig

„Die Verurteilung von Oskar Gröning schafft wohl kaum Versöhnung. Aber der Schuldspruch markiert die persönliche Verantwortung von Menschen am Terror des Nationalsozialismus. Aus meiner Sicht war es notwendig, diesen Prozess zu führen. Die rechtliche Verfolgung von Mord und von Staatsverbrechen im Nationalsozialismus darf nicht vom Alter der mutmaßlichen Täter abhängig gemacht werden.“
Landesbischof Ralf Meister

„Täter waren keine Verführten!“

Der Prozess und das Urteil gegen früheren SS-Mann Oskar Gröning werden nach Ansicht des Historikers Wolfgang Benz den Diskurs über das nationalsozialistische Morden verändern. Gröning habe sich im Unterschied etwa zu John Demjanjuk zu seiner Täterschaft bekannt, sagte der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin der Oldenburger „Nordwestzeitung“: „Er hat sich seiner Schuld gestellt und Reue gezeigt.“

Neonazis und Rechtsextremisten könnten nun nicht mehr behaupten, es sei ja alles nicht so schlimm gewesen, betonte Benz: „Die Täter waren keine Verführten!“ Der ehemalige „Buchhalter von Auschwitz“ war am 15. Juli vom Landgericht Lüneburg zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Das Urteil sei auch deshalb wichtig, weil die Justiz in der Vergangenheit viel versäumt habe, sagte Benz: „Viel zu lange wurden viel zu viele Augen zugedrückt, als es um die Verfolgung von NS-Verbrechern ging.“ Das habe es Tätern über Jahrzehnte erlaubt, durch die Maschen der Justiz zu schlüpfen - „auch Tätern von einem ganz anderen Kaliber als Herr Gröning.“

epd

Mord verjährt nicht

„Es gibt keine Gerechtigkeit, wenn es um Beihilfe zum 300.000-fachen Mord geht. Es gibt nur eine Justiz, die nach Recht und Gesetz ihre Pflicht und Schuldigkeit tut. Das hat sie in diesem Fall getan. Das Urteil bestätigt, dass Mord und die Beihilfe dazu nicht verjährten und deshalb verfolgt und bestraft werden müssen. Es zeigt, dass es niemals einen Schlussstrich geben kann und wird.“
Historiker Wolfgang Benz