Startseite Archiv Tagesthema vom 12. Juni 2015

Spontane Gäste

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

Hochzeiten, Geburtstage, Taufen. Ein Termin jagt den anderen. Private natürlich. Das kann schon recht anstrengend werden. Freizeitstress eben. Hochzeiten kann man kaum absagen, Taufen und Geburtstage auch nicht. Aber eine Einladung „ohne besonderen Anlass“, einfach so, um endlich einmal alle wiederzusehen? Da kann man sich schon entschuldigten. Und so sagten meine Frau und ich die Einladung eines alten Studienfreundes schließlich schweren Herzens ab. Wir waren einfach zu gestresst. Freizeitgestresst.

Einige Wochen später traf ich unseren Freund dann zufällig auf der Straße. Etwas befangen fragte ich ihn, wie die Feier denn gewesen sei. „Am Anfang dachten wir ja, alles läuft schief“, erzählte er mir. „Die Hälfte aller, die eingeladen waren, hat kurz vorher noch abgesagt.“ Beschämt blickte ich zu Boden. „Und, was noch schlimmer war: Maike hat Marvin mitge-bracht.“

Marvin – ich erinnerte mich. Persönlich kannte ich ihn zwar nur flüchtig. Dafür hatte ich um so mehr von ihm gehört. Ziemlich laut und ordinär sollte der sein. Ein wirklich unangenehmer Kerl, den keiner wirklich leiden mochte. „Ja, Marvin“, bestätigte mein Freund. „Maike hat ihn einfach so mitgebracht. Ohne Einladung, ungebeten.“

Zur Überraschung aller habe Marvin sich aber gar nicht so verhalten, wie befürchtet. „Wir hatten erwartet, dass Marvin als erstes das Buffet leerfrisst und sich betrinkt. Aber stattdessen hat er seine Gitarre rausgeholt und etwas von Bob Dylan gespielt. Einen Witz nach dem ande-ren hat er gerissen und uns alle prächtig unterhalten. Manchmal sind die ungebetenen Gäste eben doch genau die richtigen.“

Ungebetene Gäste. Dieser Ausdruck hat in meinen Ohren einen schlechten Klang. Zu oft habe ich ihn in letzter Zeit gehört. In Debatten im Radio und im Fernsehen. Immer dann, wenn es um die Flüchtlinge aus Afrika und Syrien ging. Flüchtlinge als ungebetene Gäste. Das klingt für mich abweisend, ja, direkt feindselig. Eine Willkommenskultur sieht gewiss anders aus.

Und doch wusste ich immer nicht recht, was ich entgegnen sollte. Stimmt es nicht, dass jene Menschen, die vor Not und Unterdrückung fliehen, die den lebensgefährlichen Weg über das Meer auf sich nehmen, um Schutz in Europa zu finden – stimmt es nicht, dass diese Menschen „ohne Einladung“ kommen? Auf der Gästeliste unserer nächsten Cocktailparty stehen sie wohl kaum.

Und doch bin ich fest davon überzeugt, dass sie unser Land reicher machen, nicht ärmer. Dass sie einen Beitrag zu unserer Kultur leisten, anstatt sie zu gefährden. Gäste ohne Einladung? Vielleicht. Aber auf jeden Fall Gäste, die unser Willkommen verdienen. Und, mehr noch: Gäste, die bleiben und zu Freunden werden können. Denn manchmal sind die ungebetenen Gäste eben genau die richtigen. 

Dr. Hendrik Klinge

Der Text

Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.

(Aus Lukas 14,16-24)

Der Autor

Dr. Hendrik Klinge ist Vikar in Laatzen.