Startseite Archiv Tagesthema vom 04. April 2015

Heute keine Kreuzigung

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Wie ein Ortsschild steht es vor dem barocken Altar der Wallfahrtskirche Ruhe-Christi in Rottweil. Gerahmt von schwarzem Marmorimitat und Gold gefasster Kreuzigungsszene. Eine künstlerische Intervention? Eine provozierende Störung? Heute keine Kreuzigung. Eine Signatur steht auf dem Schild: Pilatus. Eben noch schrieb der Stadthalter sein INRI über das Kreuz, als Legitimierung des Mordes.

„Schön wär’s,“ dachte ich: heute keine Kreuzigung - heute kein Attentat - heute kein Absturz - heute keiner, die sich vor meinen Zug wirft - heute kein Schuss - heute kein Schlag ins Gesicht – heute kein Tritt gegen wehrlose Frauen oder Männer – heute kein Missbrauch an Kindern –heute kein Unfall – heute kein Steuerbetrug – heute kein Anschlag wegen angeblicher Blasphemie – heute keine Tränen über verstümmelte Seelen – heute keine Zäune gegen Menschen auf der Flucht – heute keine Schranken, die wie Barrikaden sich türmen, damit getrennt bleibt, was zusammen wachsen möchte - heute kein Leid vor meiner Tür und auch nicht vor Deiner …

Ein Osterlächeln huscht über mein Gesicht.

Schön wär’s – oder sind wir schon da, in diesem Ort hinter den Kreuzigungen? In dem Ort: „Heute keine Kreuzigung“? Eine schöne Idee: Ostern ist ein anderer Ort. Ein Ort ohne Kreuz – ohne tödliche Folter. Ein Ort ohne sinnloses Leid. Ein Ort, der sich öffnet für neue Möglichkeiten jenseits von Todeserfahrungen. Ein Ort, an dem Feinde sich küssen. …Auferstehung ist konkret: Heute keine Kreuzigung! Heute Heilung. Heute Trost. Heute Zukunft. Heute Liebe. Heute Mut. Heute Kraft. Heute.

Solche Ortsschilder stehen mir vor Augen, wenn ich an Ostern denke und diesem Tag – diesem Fest - eine Übersetzung geben möchte: Heute von vorn beginnen. Heute die Welt verändern. Heute Zeit für Dich. Heute Frieden auf Erden. Heute nur Freudentränen. Heute: Auferstehung.

Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers

Andacht Kalenderblatt

Das finde ich seltsam: Der Tod, das Unheil, das wird ertragen, wird sogar erwartet; aber die Auferstehung, das Heil - da rennen alle weg. Immer mit dem Schlimmsten rechnen! Das fällt uns nicht so schwer. Aber: immer mit dem Besten rechnen? Das Unheil wird schnell erwartet, aber nicht das Heil. Ich habe das schon manches Mal gehört: „Wir mussten doch mit dem Schlimmsten rechnen.“ Kann man sich das Schlimmste überhaupt ausrechnen? Und das Beste nicht?

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Landesbischof Ralf Meister

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Landesbischof Ralf Meister