Startseite Archiv Tagesthema vom 01. März 2015

In Deutschland ist alles besser

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Sie leben derzeit zu sechst in einem Zimmer im Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Osnabrück. Mutter, Vater, zwei erwachsene Söhne, eine Schwiegertochter und die einjährige Enkelin hausen auf rund 20 Quadratmetern. Aber sie klagen nicht: „Wir haben Betten, es ist warm und wir bekommen zu essen“, sagt der älteste Sohn Kastriot Haziri (26) in akzentfreiem Deutsch. Er und seine Familie geben nicht auf. Vor 15 Jahren wurden die Kosovaren schon einmal aus Deutschland abgeschoben, nachdem sie zehn Jahre in der Nähe von Stuttgart gelebt hatten. 1990 hatten sie dort vor dem Balkankrieg Schutz gefunden. Jetzt sind sie wieder da - geflüchtet vor Armut und Perspektivlosigkeit.

Die Haziris gehören zu den rund 20.000 Menschen, die seit Jahresbeginn aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen sind. Bei 99 Prozent von ihnen sehen die Innenminister null Chancen auf ein erfolgreiches Asylverfahren. Sie wollen sie so schnell wie möglich zurückschicken. Er könne verstehen, dass sie sich in Deutschland ein besseres Leben erhofften, sagt der niedersächsische Ressortchef Boris Pistorius (SPD). Aber Armut sei nun mal kein Asylgrund. Zudem verstopften sie das gesamte System, so dass diejenigen, die Schutz vor Krieg, Gewalt und Verfolgung bräuchten, nicht angemessen untergebracht und betreut werden könnten.

Während einer von Pistorius initiierten Telefonkonferenz hatten sich alle Innenminister mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf eine Beschleunigung des Asylverfahrens für Kosovaren geeinigt. Nach nur zwei Wochen sollen sie abgeschoben werden können, noch bevor sie auf die Kommunen verteilt werden. Das soll auch der Abschreckung dienen, damit nicht noch mehr ihrer Landsleute ihr Glück in Deutschland versuchen.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl bezweifelt allerdings, dass sich Verfahren von heute auf morgen verkürzen lassen. Sie dauern sonst oft Monate oder Jahre. Der Osnabrücker Politikwissenschaftler Jürgen Oltmer warnt, die Menschen hätten nach wie vor ein Einspruchsrecht. Er fordert ebenso wie der niedersächsische Flüchtlingsrat, die deutschen Behörden sollten den Kosovaren befristete Arbeitsverträge abseits des Asylsystems ermöglichen.

Haziris sind jetzt immerhin schon vier Wochen in Deutschland. „Und wir haben den Transfer“, erzählt Kastriot. „Transfer“ ist das Zauberwort für den Umzug aus dem Aufnahmelager in eine Gemeinde. Ostfriesland ist ihr Ziel, schon nächste Woche. Wo genau sie dort unterkommen, kann er im Moment nicht sagen.

In Süddeutschland kennen sich Kastriot und sein Bruder Patriot (24) Haziri besser aus. In Münzingen sind sie aufgewachsen und zur Schule gegangen. Sie sprechen perfekt Deutsch. Die Aufforderung, zurück in den Kosovo zu gehen, traf sie damals wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Aber sie gingen freiwillig, wollten keinen Ärger machen. Für die Jungen, damals zwölf und zehn Jahre alt, war es schwer, Fuß zu fassen in einer kleinen Stadt nahe Pristina: „Drei Jahre hat es gedauert. Wir wurden immer gehänselt, weil wir nicht richtig albanisch sprachen“, sagt Kastriot. „Für mich ist immer noch Deutschland meine Heimat.“

Zwar hatten sie alle im Kosovo Arbeit: als Taxifahrer, Kellner, Reinigungskraft. Verdient hätten sie aber wenig, sagt Kastriot Haziri. „Chancen auf bessere Bildung und Jobs haben dort nur die Reichen.“ Die medizinische Versorgung sei schlecht und teuer. Bekannte hätten erzählt, in Deutschland würden Fachkräfte gesucht. Seine Eltern seien krank. Deshalb hätten sie sich entschieden, es noch einmal in Deutschland zu versuchen. "Wir haben alles verkauft, um uns die Reise leisten zu können", sagt Vater Ismet (58). 5.000 Euro habe ein Schleuser für die Fahrt in einem Kombi verlangt.

Nun hoffen sie einfach, dass sie bleiben können, sagt Kastriot Haziri und lächelt unsicher. Er hält seine einjährige Tochter Adea auf dem Arm. In Deutschland sei alles besser, die Menschen seien netter. Und seine Mutter Mevyde (51) ergänzt: „Dort gibt es nichts, das man vermissen könnte.“

Martina Schwager (epd)

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) hat von den Unternehmen mehr Offenheit für arbeitssuchende Migranten gefordert. „Wir müssen schauen: Was kann ein Bewerber und nicht, was ist an Defiziten vorhanden, das eröffnet ein ganz neues Fenster“, sagte er. Die Betriebe in Deutschland seien trotz eines großen Bedarfs an Fachkräften noch immer zu sehr auf Defizite fixiert und blickten zunächst etwa auf fehlende Sprachkenntnisse. „Es geht darum, dass Deutschland sich als weltoffenes Land zeigt,“ betonteLies.

Der Minister sprach bei der Abschlussveranstaltung des Projektes „“ der Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers für gut ausgebildete Migrantinnen, die Arbeit suchen. Dabei berieten berufserfahrene ehrenamtliche Mentorinnen seit 2010 zugewanderte Frauen, die trotz ihrer Qualifikation keine angemessene Beschäftigung fanden.

„Himmel und Erde“

Die Radioandacht „Himmel und Erde“ im NDR Radio Niedersachsen widmet sich vom 2. bis zum 6. März täglich dem Thema Flüchtlinge. Der Winsener evangelische Superintendent Christian Berndt erzähle jeweils morgens um 9.15 Uhr Geschichten aus der Bibel und berichte von Erfahrungen, die der Kirchenkreis Winsen bei Hamburg mit Flüchtlingen mache, teilte ein Kirchenkreis-Sprecher am Freitag mit.

In Winsen lädt die Kirche regelmäßig zu einem „internationalen Café“ ein, das von vielen Flüchtlingen besucht wird. Gemeinsam mit dem Landkreis Harburg hat sie zudem Beschäftigungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge initiiert. Das Engagement gilt in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers als vorbildlich. Er wolle auch mit der Andachtsreihe für mehr Verständnis gegenüber Flüchtlingen werben, sagte Berndt: „Wenn wir unverkrampft aufeinander zugehen, dann lernt man sich besser kennen und versteht, warum diese Menschen ihre Heimat verlassen mussten.“

Personal für faire Asylverfahren

Die Flüchtlingsräte in Deutschland fordern mehr Behördenpersonal für faire Asylverfahren. „Anstatt sich mit fragwürdigen und ineffizienten Dublin-III-Verfahren zu beschäftigten, sollten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorhandene Ressourcen in die Bearbeitung ordentlicher Asylverfahren investiert werden“, sagte der Vorsitzende des Bremer Flüchtlingsrates, Marc Millies, anlässlich einer zweitägigen Bundeskonferenz der Flüchtlingsräte in Bremen. Laut der Dublin-Verordnung müssen Schutzsuchende dort Asyl beantragen, wo sie erstmals in die EU eingereist sind.

Die Räte warfen den Behörden zudem vor, nicht frühzeitig für größere Flüchtlingszahlen geplant zu haben. Die gegenwärtige Ad-hoc-Politik erschwere ein rechtsstaatliches Asylverfahren, sagte Angelika von Loeper vom Bundesvorstand von ProAsyl. Weil die zuständigen Stellen überlastet seien, komme es schon jetzt zu teilweise monatelangen Wartezeiten bei der Registrierung, Anhörung und Entscheidung über die Asylanträge. Flüchtlinge müssten zum Teil mehrere Wochen warten, bevor sie überhaupt einen Antrag auf Asyl stellen könnten. Dies sei ein „untragbarer Zustand“.

Insbesondere unbegeleitete jugendliche Flüchtlinge brauchten mehr Fürsorge, sagte von Loeper. Die Flüchtlingsräte lehnten die geplante bundesweite Umverteilung der Minderjährigen nach starren Quoten ab. „Statt bürokratischer Kriterien muss allein das Kindeswohl als Maßstab gelten.“ Aus Sicht der Menschenschützer verstößt die aktuelle Planung des Bundesamtes gegen die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen.

Außerdem forderten die Räte große Investitionen in den sozialen Wohnungsbau. Die Massenunterkünfte verwehrten den Menschen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und machten sie krank, unterstrich Millies. Flüchtlinge müssten zügig in private Wohnungen ziehen können. Nur wenn Asylbewerbern eine Perspektive geboten werde, könne Integration gelingen.